Eine breite Mehrheit wird es wohl nur im Bundestag geben

Die Fraktionen der Ampel und der Union haben sich nun also
auf einen gemeinsamen Entwurf einer Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen
Lebens in Deutschland geeinigt. Federführend verhandelt wurde dieser von den
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU, SPD, Grünen und FDP;
Vertreter der AfD und der Linken sind nicht daran beteiligt worden. Der nunmehr
finale Resolutionstext, unter dem indes die Namen der Fraktionsvorsitzenden
selbst stehen, also etwa die von Friedrich Merz und Rolf Mützenich, soll nach
Informationen von ZEIT ONLINE in der kommenden Woche ins Parlament eingebracht
werden. Dies wäre vor dem symbolträchtigen Datum des 9. Novembers und damit dem
Jahrestag der Reichspogromnacht 1938. In der öffentlich einsehbaren
Tagesordnung des Bundestages
für den 6. bis 8. November war am heutigen
Samstagnachmittag jedoch noch keine entsprechende Beratung verzeichnet. Der Entwurf
muss den Mitgliedern der beteiligten Bundestagsfraktionen nach Informationen
von ZEIT ONLINE auch überhaupt erst noch vorgestellt werden. Die Situation ist
kurios: Manche Journalisten kennen den neuen Text, viele gewählte Abgeordnete
noch nicht.

Ins Parlament eingebracht wird nun ein neuer, zweiter
gemeinsamer Textentwurf, nachdem im zurückliegenden Sommer bereits ein erster
eigentlich fertig ausverhandelt war, dann aber von den Fraktionsspitzen
nachverhandelt wurde. Der neue, über dessen Existenz und Inhalt am gestrigen
Abend zunächst der berichtet hat und der ZEIT ONLINE vorliegt, ist
weitgehend identisch mit dem alten, nur noch etwas länger. An einigen wichtigen
Stellen ist der Entwurf anders formuliert. Etwas völlig Neues enthält er jedoch
nicht. Und die Stoßrichtung ist dieselbe: Jüdisches Leben in Deutschland soll
gerade auch dadurch geschützt werden, dass Antisemitismus im Rahmen staatlich
geförderter Kultur und Wissenschaft bekämpft oder zumindest nicht mehr mit
Fördergeldern ausgestattet werden soll. Kritik gab es bereits am ersten Entwurf. Zu alter und neuer Kritik später mehr.

So scheint nun also erst einmal ein langes Ringen zwischen den
Fraktionsspitzen der Bundesregierung und der oppositionellen Union zu Ende zu
gehen. Wobei der Ausgang insofern noch ungewiss ist, als dass es nach
Informationen von ZEIT ONLINE womöglich Abweichler aus beteiligten Fraktionen
geben wird. Schon der Resolution in ihrer ersten Fassung wollten manche
Abgeordnete dem Vernehmen nach nicht zustimmen. Dass der Entwurf im Parlament aber dennoch eine
Mehrheit finden wird, steht nicht ernsthaft infrage.

Ursprünglich sollte es im vergangenen Jahr bereits eine
Resolution des Bundestages als direkte Reaktion des Parlaments auf den
Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 geben. Doch Ampel und
Union konnten sich damals auf kein gemeinsames Papier einigen und brachten je
eigene Entschließungsanträge ins Parlament ein, ohne dass aus diesen etwas
folgte. Im Frühsommer 2024 setzte man sich doch zusammen. Nun war ein weiterer
Anlass für eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens die seit dem 7. Oktober
2023 stark gestiegene Zahl von antisemitischen Taten in Deutschland. Dass es
insgesamt 13 Monate gedauert hat und auch zum Jahrestag des Hamas-Angriffs am
7. Oktober kein konsensfähiger Resolutionsentwurf vorlag, ja die Verhandlungen fast gescheitert wären – das zeigt, wie schwierig
die Causa ist. Durch die zeitliche Nähe zum 9. November erscheint die
Parlamentsdebatte nun weggerückt vom aktuellen Geschehen im Nahen Osten und
tatsächlich eher auf die Situation von Jüdinnen und Juden in Deutschland
ausgerichtet. Der neue Entwurf enthält wie der alte eine Verurteilung des
Hamas-Angriffs und betont explizit, dass Israel das Recht zur
Selbstverteidigung zustehe; eine Beurteilung oder nur Beschreibung des
Kriegsgeschehens im Gazastreifen fehlt. 

Die Aufmerksamkeit ist woanders

Symbolhaft wäre die Verabschiedung einer solchen
Bundestagsresolution nun so oder so: einerseits, weil es sie dann wirklich
gäbe; andererseits, weil es derart lange gedauert hat, bis sie zustande kam.
Dass wegen der am kommenden Dienstag stattfindenden Präsidentschaftswahl in den
USA die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit ganz woanders sein wird,
bei Kamala Harris und Donald Trump nämlich, kann man ebenfalls als symbolhaft
deuten. Auch wenn das vielleicht nur eine Nebenwirkung der kalendarischen Nähe
von US-Wahl und Jahrestag der Reichspogromnacht ist. Der Bundestag hat sich für
die Debatte und Verabschiedung der Antisemitismusresolution jedenfalls keine
Woche ausgesucht, in der alle Augen aufs deutsche Parlament gerichtet sein
werden. Richtung Bundestag wird man allenfalls wegen etwas anderem blicken: der
sichtbaren Auflösungserscheinungen der Ampel-Koalition
. Wen würde eine zudem
rechtlich nicht bindende Bundestagsresolution zum jüdischen Leben in
Deutschland noch interessieren, sollte zeitgleich die amtierende
Bundesregierung endgültig zerbrechen?

Und dann gab und gibt es auch noch erhebliche Kritik am
Zustandekommen der Resolution und ihrem Inhalt. Mitte Juli hatte ZEIT ONLINE
als erstes Medium über den damals zwischen den stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden von Ampel und Union ausgehandelten ersten Entwurf berichtet. In
mancher Fraktion, besonders in der der Grünen, kam der schon nicht gut an.
Regelrecht schockiert hingegen waren viele Vertreter und Vertreterinnen aus
Kultur und Wissenschaft. Sie sahen die verfassungsrechtlich garantierte
Freiheit von Kultur und Wissenschaft
bedroht angesichts mancher Forderungen,
die der damalige Entwurf enthielt und insbesondere von den Unionsfraktionen
befürwortet wurde: etwa dass die Vergabe öffentlicher Fördergelder daran
geknüpft werden solle, dass Geförderte de facto ein Bekenntnis zum
Antisemitismus ablegen sollten.

Im ursprünglichen Entwurf stand: „Bei
Bundesfördermittelanträgen von zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die
Förderprojekte auf eine Unterstützung oder Reproduktion von antisemitischen
Narrativen zu überprüfen. Zudem dürfen sich die Inhalte nicht gegen unsere
freiheitliche demokratische Grundordnung richten.“ Diese Passage fehlt nun im
finalen Entwurf vollständig. Stattdessen wurde an der Stelle ein neuer Satz
eingefügt: „Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass
sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell
gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in
Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv
unterstützen.“ Gestrichen wurde auch die ursprüngliche Aufforderung an die
Bundesregierung, zu prüfen, ob es weiterer Regelungen
im Haushaltsrecht bedürfe, um sicherzustellen, „dass Mittel nicht für Antisemitismus verwendet
werden“. Das ist im alten Text mit einem Ultimatum verbunden gewesen, die Ampel
hätte bis Ende dieses Jahres dazu den Bundestag unterrichten sollen.

Aus „zugrunde legen“ wird „maßgeblich heranziehen“

So wie man diese Änderungen als Abschwächungen verstehen
kann, wurde auch eine Formulierung abgeschwächt, die am ersten
Resolutionsentwurf besondere Kritik hervorgerufen hatte, nämlich hinsichtlich
der Frage, was im Sinne des Bundestages als antisemitisch zu gelten hat und was
nicht. Im ursprünglichen Text wurde die Bundesregierung aufgefordert, auf die
Länder und Kommunen, in deren Wirkungsbereich Kultur und Wissenschaft wesentlich liegen,
„einzuwirken“, die Arbeitsdefinition der IHRA (International Holocaust
Remembrance Alliance) bei der in der Resolution geforderten neuen Förderpolitik
„zugrunde zu legen“. Nun steht dort, man solle die IHRA-Definition „als
maßgeblich heranziehen“. Die IHRA-Definition ist eine enge, Kritik an Israel
kann nach ihren Maßgaben sehr schnell als antisemitisch gelten. Es existieren
weitere Antisemitismusdefinitionen, etwa die in der Jerusalem Declaration
festgehaltene. Soll die IHRA-Definition nun nurmehr als „maßgeblich“ betrachtet
werden, bedeutet dies: Der Bundestag akzeptiert, dass es weitere Definitionen
gibt, hält die der IHRA aber für die wichtigste.

Diese Veränderung kann man als ein Zugehen auf jene Kritiker
verstehen, die gegen den ersten Entwurf scharfen Einspruch erhoben hatten.
Zuletzt hatte eine kleine, aber prominent besetzte Gruppe von Juristen und
Wissenschaftlerinnen per Gastbeitrag in der FAZ dem Bundestag
„Formulierungsvorschläge“ für eine Resolution gemacht. Die Gruppe – bestehend
aus den Juristen Ralf Michaels und Jerzy Montag, dem ehemaligen
Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus, dem Soziologen Armin Nassehi, der
Historikerin Miriam Rürup sowie der Soziologin Paula-Irene Villa – hatte in
ihrem Text 16 Punkte aufgelistet, einer handelte auch von den verschiedenen
Antisemitismusdefinitionen. Sie wandte sich aber gerade dagegen, die in
Deutschland lebenden Juden „auf eine bestimmte Ansicht oder Lebensweise zu
beschränken und sie als homogene, einheitliche Positionen vertretende Gruppe
darzustellen und anzusprechen“. Das war ein höflich formulierter Hinweis
darauf, dass es eben auch Juden gibt, die etwa das aktuelle Vorgehen der
israelischen Regierung verurteilen – und die sich vom Zentralrat der Juden in
Deutschland und dessen Führung weder politisch noch weltanschaulich vertreten
fühlen.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats, hat am Samstag
gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Einigung der Fraktionsspitzen auf den Resolutionsentwurf begrüßt: „Wir hören das
Signal – es bleibt ein Moment der vorsichtigen Zuversicht.“ Die „langen, zum
Teil irritierenden und nicht immer nachvollziehbaren Verhandlungen“ hätten aber
ihre Spuren hinterlassen. Die Resolution müsse nach ihrer Verabschiedung „vom
Bund und gerade auch von den Ländern mit Leben gefüllt werden, um eine
nachhaltige Wirkung zu erzielen“, sagte Schuster. „Die Grundlagen für einen
wirksamen Schutz jüdischen Lebens sind nun definiert“. Und: „Die vorgesehenen Maßnahmen müssen aber noch effektiv und
zügig umgesetzt werden.“ Das sehen die Kritiker der Resolution anders. Und weil
dieser Entwurf nur ein fraktionsübergreifender Entschluss ist und kein Gesetz, sind
darin faktisch auch kaum „vorgesehenen Maßnahmen“ enthalten, die „effektiv und
zügig umgesetzt werden“ könnten – der Bund hat bei einer Vielzahl der
Resolutionsforderungen wenig bis nichts zu sagen, sie fallen eben in die Hoheit
der Länder.

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