Ali: Wie geht es dir, Dan?
Dan: Es war sehr heftig. Ich habe gehört, dass diese neue iranische Mittelstreckenrakete Chorramschahr eingesetzt wurde, sie ist wohl ein bisschen größer als die vorherige. Es gab sehr großen Schaden. Nur einen Kilometer weit weg von mir ist sie eingeschlagen. Das wird doch bald ein Ende haben, oder?
Ali: Das haben wir schon vor fünf Tagen gedacht, dass das Ende kommt. Jeden Tag denken wir, dass morgen das Ende kommt.
Dan: Wie geht es deiner Familie, Ali?
Ali: Es ist alles in Ordnung. Sie sind aus Teheran raus. Wir haben schon vor langer Zeit ein kleines Ferienhaus auf dem Land gekauft. Wir wussten, eines Tages wird es wieder Krieg geben, wir waren darauf vorbereitet. Es ist gut dort, sie sind geschützt, auch wenn es vielleicht zu Unruhen unter den Bürgern kommen sollte, wenn das Regime fallen sollte.
ZEIT ONLINE: Wie begann eure Freundschaft?
Ali: Ich sah die Arbeit von Dan auf Instagram und folgte ihm, ich bewunderte ihn schon lange, sein exaktes Auge. Ich wollte von ihm lernen, indem ich mir ansah, wie er die Kamera bediente. Außerdem war ich neugierig, wollte wissen, wie Israelis sind. Uns wurde schon von früh auf eingetrichtert: Nähert euch keinen Israelis, die sind gefährlich. Selbst Erwachsene reagieren darauf, wenn jemand Israel erwähnt. Irgendwann fasste ich Mut und schrieb ihn an. Er antwortete mir, er war so freundlich – er zeigte überhaupt keine Angst. Er vermittelte mir auch nicht das Gefühl, dass er mir misstraut oder dass er denkt, ich könnte ein Spion sein.
Dan: Mich hat von Anfang an fasziniert, dass wir trotz Feindschaften, trotz Verboten und Riesenmauern einfach so miteinander korrespondieren können. Ich habe gerade meinen Messenger geöffnet, wir sprechen seit 2017. Acht Jahre schon.
Ali: Weißt du, warum ich mir eine Freundschaft mit Dan wünschte? Weil die Islamische Republik mir gesagt hat, das ist der Feind. Und weil es vom Regime kam, wusste ich, dass es nicht stimmt. Denn wenn dir dein Feind – derjenige, der uns tötet – sagt, dass ein anderer der Feind ist, dann glaube ich ihm nicht. Deshalb ist der Feind unseres Feindes unser Freund.
Dan: Genau das habe ich heute schon mal gesagt. Im Nahen Osten entstehen Allianzen nach diesem Prinzip. Wenn du der Feind meines Feindes bist, dann bist du mein Freund.
Ali: Immer wenn ich mit Dan spreche, habe ich das Gefühl, ich würde mit einem Iraner sprechen – nur in einer anderen Sprache. Er versteht, was ich fühle. Er war schon immer nicht nur neugierig, sondern auch ernsthaft daran interessiert, zu erfahren, wie es mir geht. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass sich unsere Herzen verstehen.
Dan: Ich hatte das auch immer so gefühlt, unsere Gespräche waren von Anfang an instinktiv. Ich wusste, wie du dich fühltest, als du Iran mit deiner Familie verlassen hast. Ich beschäftige mich seit meiner Kindheit mit Flucht. Meine Eltern sind Holocaust-Überlebende. Ich weiß, wie es ist, alles hinter sich zu lassen und neu zu beginnen.
ZEIT ONLINE: Wie gelingt es euch, Verbundenheit zu spüren – ohne ein Wort des anderen zu verstehen? Wieso habt ihr keine Angst voreinander?
Dan: Da muss ich erst einmal Ali fragen: Musstet ihr als Schulkinder tatsächlich eure Schuhe auf israelischen Fahnen, die auf dem Boden gemalt waren, abputzen?
Ali: Das war normal. Ich kann mich auch gut an mein Schulbuch aus der ersten Klasse erinnern. Darin stand, dass die Israelis Bomben in hübschen Puppen verstecken würden, damit die Kinder der Araber sie aufheben und die Bomben dann in ihren Händen explodieren. Das war eine der ersten Geschichten, die wir in der Schule lasen. Ich wuchs mit solchen Geschichten auf, ich hatte Angst, dass meine kleine Schwester so eine Puppe in die Hände bekommt. Ich kam weinend nach Hause und sagte: „Papa, ich habe Angst.“ Er antwortete mir: „Glaub nichts, was du nicht mit eigenen Augen gesehen hast.“ Das hat mich geprägt. Seitdem glaube ich nur das, was ich selbst gesehen habe.
Dan: Vor der Revolution 1979 war ich vielleicht viermal in Teheran, mit meinem Team aus dem Studio in Tel Aviv. Wir saßen im Flugzeug Richtung Teheran und ich sprach mit ein paar anderen Israelis, die in den Iran flogen. Einer sagte dann plötzlich: Pass auf, sag niemandem, dass du Israeli bist, das Volk hasst uns. Ich sagte also im Iran dann jedes Mal, dass ich Deutscher bin, obwohl ich damals noch kein Deutsch sprach.