„Morgen sind wir durch“, sagte einer der Verhandler am sehr späten Dienstagabend zu BILD. Gemeint: der Koalitionsvertrag! Heute wollen sich CDU/CSU und SPD final einigen, die letzten Knoten durchschlagen und ihr Machwerk der Öffentlichkeit präsentieren. In der Union herrscht vorsichtiger Optimismus, von positiven Überraschungen ist die Rede.
Seit 9.30 Uhr wird in der CDU-Zentrale weiterverhandelt. Friedrich Merz will auch den engsten Führungszirkel und das Präsidium der Partei über den Stand der Verhandlungen informieren. Nach BILD-Informationen soll es eine Einigung bei einem der letzten großen Streit-Themen, den Steuern, gegeben haben.
Bisher sickerte durch: Die Beschäftigten sollen entlastet werden. U.a. soll der Steuertarif etwas später greifen und etwas flacher verlaufen. Damit werde jeder Steuerzahler entlastet, hieß es aus Verhandlungskreisen. Die SPD-Forderung nach Steuererhöhungen für Gutverdiener und Mittelständler werde damit nicht umgesetzt.
Besonders stolz sind die Verhandler nach BILD-Informationen darauf, dass aus den Spitzen-Gesprächen der vergangenen Wochen fast nichts nach außen drang. Und das war kein Zufall.
Nur die „Note-Taker“ hatten das „Master-Dokument“
Schwarz-Rot wurde zur Geheim-Operation! Nach dem Desaster mit den geleakten Papieren fast aller Arbeitsgruppen setzen CDU/CSU und SPD auf eine neue Methode.
Wie BILD aus Verhandlungskreisen erfuhr, wurde kein sogenanntes Master-Dokument des Koalitionsvertrags in die Cloud (digitaler, per Internet abrufbarer Speicher) hochgeladen.
▶︎ Stattdessen wird mit ausgedruckten, mit Wasserzeichen versehenen Papieren gearbeitet, die an die Verhandler verteilt und wieder eingesammelt werden. Über das Master-Dokument verfügen nur die sogenannten Note-Taker, die Protokollanten der Chef-Verhandler. Dies ist eine Lehre aus den Verhandlungen der Arbeitsgruppen. Wie BILD erfuhr, wurden nach den Leaks in allen Parteien undichte Stellen ausfindig gemacht und geschlossen.
Optimismus bei der Jungen Union
Am Dienstagabend herrschte angespannte, aber vorsichtig optimistische Stimmung beim Empfang der Jungen Union (JU) im beeindruckenden Gebäude der DZ Bank am Pariser Platz neben dem Brandenburger Tor.
Die Erwartung an den Koalitionsvertrag ist hoch. Die Enttäuschung über die ersten Verhandlungsergebnisse sitzt tief. Doch plötzlich war Hoffnung zu spüren, zwischen den Zeilen wurde Zuversicht geäußert.
Wussten die Jung-Unionler etwa schon Bescheid? Oder hoffen sie auf die Koalitions-Überraschung?
JU-Chef Johannes Winkel, zuletzt der lauteste parteiinterne Kritiker des CDU-Vorsitzenden, verlor plötzlich kein missbilligendes Wort mehr über Merz. Und das, obwohl Merz die Partei-Jugend an diesem Abend versetzt und seine Rede kurzfristig abgesagt hatte.
Winkel schien das nicht zu stören: Er zeigte Verständnis, dass in den Koalitionsverhandlungen Merz das Land über die Partei stelle. Und erklärte unter Applaus: Wenn jemand den Kredit auf seine Glaubwürdigkeit zurückzahlen könne, dann Friedrich Merz als Bundeskanzler. Eine Anspielung auf Merz‘ Eingeständnis, bei der Schuldenbremse seinen Kurs geändert zu haben. Doch Winkel klang plötzlich optimistisch, dass Merz dies in der Kanzlerschaft wiedergutmachen könne.