ZEIT ONLINE: Maria Ressa, wie lebt es sich nun auf den Philippinen?
Maria Ressa: Manila ist meine Heimat, aber ich verbringe viel Zeit in den USA, seit ich Journalismus an der Columbia-Universität lehre. Ich muss den Obersten Gerichtshof auf den Philippinen allerdings jedes Mal um Erlaubnis bitten, bevor ich in die USA reise.
ZEIT ONLINE: Warum?
Ressa: Zwei von den Prozessen, die der frühere Präsident Rodrigo Duterte und seine Vertrauten gegen mich angestrengt haben, werden bis heute weitergeführt, einer inzwischen in der letzten Instanz.
ZEIT ONLINE: Was droht Ihnen schlimmstenfalls?
Ressa: In einem Fall könnten es bis zu sieben Jahre Haft sein. Da geht es um eine angebliche Verletzung eines Gesetzes gegen Cyberverbrechen.
ZEIT ONLINE: Der Internationale Strafgerichtshof hat seinen Haftbefehl auf mindestens 43 Morde gegründet, für die Rodrigo Duterte verantwortlich sein soll. Haben die Recherchen von die Grundlage dafür geliefert?
Ressa: Das weiß ich nicht. Die Anklageschrift ist noch nicht öffentlich. Aber die Beweise liegen seit Jahren offen zutage. Wir haben bei ganze Artikelserien über die Ereignisse veröffentlicht.
ZEIT ONLINE: Wie hoch war das persönliche Risiko für Sie damals?
Ressa: Es gab Zeiten, in denen ich nicht wusste, ob ich überleben werde.
ZEIT ONLINE: Was würden Sie im Rückblick sagen: Welchen Einfluss hat diese Zeit auf Sie als Mensch gehabt?
Ressa: Ich sage immer wieder: Du weißt nicht, wer du wirklich bist, bis du dich verteidigen musst. Letztlich hat mir Rodrigo Duterte einen klaren Blick darauf ermöglicht, wer ich als Mensch bin und wie weit ich als Journalistin zu gehen bereit bin.
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ZEIT ONLINE: Sie sind gerade in New York. Wenn Sie mit Ihren Erfahrungen auf die USA blicken: Was ist der erste Gedanke, der Ihnen kommt?
Ressa: Ich denke, dass viele US-Amerikaner ihre Freiheit bisher nie verteidigen mussten – und nun nicht wissen, wie.
ZEIT ONLINE: Ist das nicht ein zu harsches Urteil?
Ressa: Ich fürchte, wir sehen tatsächlich eine Philippinisierung der USA. Es ist, als würde ich ein zweites Mal durchleben, was auf den Philippinen unter Duterte geschehen ist.
ZEIT ONLINE: Aber Moment mal. Was genau meinen Sie? Auf den Philippinen wurden in dieser Zeit mehrere Zehntausend Menschen getötet. Das kann man doch nicht mit den USA vergleichen!
Ressa: Nein, natürlich nicht. Ich meine etwas anderes.
ZEIT ONLINE: Was genau?
Ressa: Präsident Duterte hat unsere Institutionen zerstört. Der philippinische Staat und unsere Verfassung, unsere Bill of Rights, sind nach dem Vorbild der USA aufgebaut. Wir haben drei gleichberechtigte staatliche Gewalten: Regierung, Parlament und Justiz. Und Duterte hat diese Balance zerstört. Innerhalb von sechs Monaten wurde er zum mächtigsten Herrscher, den unser Land je hatte. Einen ähnlichen Prozess sehe ich nun in den USA. Schauen Sie sich die Drohungen und die sich häufenden Fälle an, in denen Anwälte, Medien, Nichtregierungsorganisationen und die Wissenschaft finanziell unter Druck gesetzt werden. An wen sollen sich die Bürger denn wenden, wenn sie Gerechtigkeit wollen? Was ich also sehe? Der Rechtsstaat wird beschädigt.