Die Aufnahmen aus der Region Kursk erinnern an den größten ukrainischen Erfolg der vergangenen zwölf Monate: Die Videos russischer Aufklärungsdrohnen zeigen Panzer und Truppentransporter der ukrainischen Streitkräfte, die, wie schon im August 2024, ohne Gegenwehr in Kolonnenformation auf russisches Gebiet vordringen. Soldaten der Infanterie steigen aus Fahrzeugen und verteilen sich an einem Waldstreifen entlang der Landstraße. Russische Militärblogger haben die Aufnahmen in Chatgruppen geteilt. Und sie schlagen Alarm: Die ukrainischen Streitkräfte seien erneut zu einer Großoffensive auf russisches Gebiet übergegangen.
Tatsächlich ist das russische Grenzgebiet seit vergangenem Sonntag wieder zum Schauplatz der wohl heftigsten Kämpfe entlang der mehr als 1.200 Kilometer langen Frontlinie zwischen Russland und der Ukraine geworden. Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs wurde zuletzt rund die Hälfte der täglich mehr als 200 Truppenzusammenstöße in diesem schmalen Streifen verortet.
Doch anders als beim Überraschungsangriff im Sommer sind die russischen Truppen nun besser vorbereitet. Sie ließen die ukrainischen Kolonnen nur wenige Kilometer weit rollen, um sie bei günstiger Gelegenheit anzugreifen. Weniger als eine Woche nach Beginn der Offensive ist klar, dass die ukrainischen Truppen mit ihrem jüngsten Angriff kaum nennenswerte Geländegewinne erzielt haben. In den vergangenen Tagen tauchten in den Chatgruppen russischer Militärblogger immer neue Videos von zerstörten ukrainischen Fahrzeugen und getöteten sowie gefangen genommenen Soldaten auf.
Am Donnerstag veröffentlichte die staatliche Agentur Ria Nowosti zudem Aufnahmen aus dem russischen Dorf Berdin, das die ukrainischen Truppen am Sonntag vorübergehend erobert hatten. Dies belegt, dass es wieder unter russischer Kontrolle ist. Und während im vergangenen Sommer die russische Armee Wochen gebraucht hat, um die Lage zu stabilisieren, scheint sie diesmal bereits nach wenigen Tagen selbst zum Gegenangriff übergegangen zu sein.
Lage bei Sudscha wird immer bedrohlicher
Zwar berichten russische Soldaten von „zähen und verlustreichen“ Kämpfen und erbitterter Gegenwehr der Ukrainer. Dennoch ist das von der Ukraine besetzte Gebiet in der Region Kursk nach Angaben des ukrainischen Analysten-Teams DeepState in den vergangenen Tagen um weitere 30 Quadratkilometer auf knapp 450 geschrumpft. Damit verbleibt jetzt weit weniger als die Hälfte des ursprünglich eroberten russischen Areals in ukrainischer Hand. „Leider ist durch den medialen Hype um die jüngste Offensive der falsche Eindruck entstanden, dass unsere Truppen bereits auf Kursk vorrücken“, stellt das DeepState-Team in einer aktuellen Analyse fest.
Während die ukrainischen Truppen bei ihren Angriffen versucht hatten, ihren Vorstoß nach Osten zu vertiefen, greift Russland nun vor allem an den Flanken an. Ähnlich einer Zange versucht die russische Armee von Norden und Süden die Ukrainer auf eigenem Gebiet einzukreisen oder zumindest die Nachschubwege abzuschneiden. Besonders bedroht aus ukrainischer Sicht ist der südliche Teil des besetzten Grenzstreifens. In der vergangenen Woche sind die russischen Truppen hier bis auf drei Kilometer an die einzige von den Ukrainern besetzte Kreisstadt Sudscha herangekommen. Gelingt hier ein weiterer Vorstoß, drohen alle ukrainischen Positionen östlich von Sudscha von der Versorgung abgeschnitten zu werden. Statt neues Gebiet zu erobern, konzentrierten sich die ukrainischen Truppen nun darauf, diese Linie zu verstärkten und zu halten. Dennoch halten russische Militärs weitere Angriffe der Ukrainer für nicht ausgeschlossen.