Diese Uni macht vor, wie Deutschland seinen Wohlstand erhalten kann

Das „fehlende Puzzlestück für die Energiewende“ ist in einen dunkelgrünen Standard-Container verpackt. Was aussieht wie handelsübliche Seefracht, enthält Ideen aus jahrelanger Spitzenforschung. Im Container befindet sich ein Kraftwerk, das nicht nur Strom aus Biogas erzeugen, sondern auch überschüssigen Strom aus dem Netz aufnehmen und in Form von Gas speichern kann. Reverion heißt die zwei Jahre junge Firma, die Landwirten und Industriebetrieben diese Container-Kraftwerke anbietet.

Das Unternehmen ist ein Paradebeispiel dafür, wie der Wissenstransfer zwischen Universitäten und Wirtschaft gelingen kann. Die fünf Gründer um CEO Stephan Herrmann, der das „fehlende Puzzlestück“ als „revolutionär“ preist, sind Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM).

Sie haben für ihre Ausgründung ein Portfolio von Patenten der Universität lizenziert und wollen nach jahrelanger Forschung einen praktischen Beitrag zur Energiewende leisten. In diesem Sommer hat Reverion 62 Millionen Dollar (umgerechnet rund 60 Millionen Euro) bei Investoren eingesammelt und will nun in die Serienfertigung seiner Container gehen.

Die TUM ist Deutschlands Vorzeigeuniversität beim Wissenstransfer von der Hochschule in die Praxis. Keine andere Hochschule im Land bringt mehr Gründer hervor, keine andere mehr Patentanmeldungen. Auch immer mehr Forschungskooperationen mit großen Konzernen gehen an den Start.

Das Beispiel München muss Schule machen, wenn Deutschland seinen Wohlstand erhalten will. Es reicht nicht, nur in der Forschung allein spitze zu sein. Damit dadurch auch innovative Produkte und Dienstleistungen samt krisenfester Arbeitsplätze entstehen, gilt es, Brücken von der Wissenschaft in die Praxis zu bauen. Dazu müssen Politik und Wissenschaft noch so manche Hürde aus dem Weg räumen.

Eine aktuelle Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die Schweiz in Sachen internationaler Hochschulpatente am effizientesten agiert. Ihre Hochschulen – allen voran die technisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Universitäten in Lausanne und Zürich – melden weltweit die meisten Patente gemessen an der Zahl ihrer Studenten.

In den Jahren 2017 bis 2021 waren es 267 Patentanmeldungen je 100.000 Studenten. Auf Platz zwei folgte Israel mit 259, vor Belgien mit 250 Anmeldungen. Deutschland belegt mit 92 Patentanmeldungen je 100.000 Studenten den achten Platz – nur knapp hinter den USA mit 95.

„Die amerikanischen Hochschulen haben um ein Vielfaches höhere Budgets als die deutschen“, sagt IW-Forscher Oliver Koppel. „Da behaupten sich die deutschen Universitäten bei den Patenten vergleichsweise gut.“ Doch viele Patente allein heißen noch nicht, dass die Ideen in der Wirtschaft auch umgesetzt werden. „Wir haben ein Problem mit dem Technologietransfer in die Wirtschaft“, sagt Koppel.

Fördergeld an wirtschaftlichen Erfolg knüpfen?

Konkret bemängelt er je nach Bundesland umfangreiche Dokumentations- und Offenlegungspflichten bei der Forschungskooperation zwischen Universitäten und Unternehmen. „Wenn auch meine Konkurrenz einsehen kann, woran ich gerade forsche, macht so eine Kooperation keinen Sinn“, erklärt der Wissenschaftler.

Vorbildlich sei da das Bayerische Innovationsgesetz, das Anfang 2023 in Kraft trat. Darin werde Hochschulen große Autonomie in Kooperationen zugebilligt und Technologietransfer als „Dienstaufgabe von Professorinnen und Professoren“ festgeschrieben. Zudem wird die „Förderung innovativer Ausgründungen“ ausdrücklich zur Hochschulaufgabe erklärt.

Stefan Gross-Selbeck denkt noch einen Schritt weiter. Der Vorsitzende der Gründungskommission der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (Dati) will staatliches Fördergeld für die Wissenschaft auch an deren Wirkung in der Wirtschaft knüpfen.

„Wir fördern und belohnen die Schaffung neuer Erkenntnisse – aber es gibt strukturell zu wenig Anreiz für Wissenschaftler, neben der Erkenntnis auch die Umsetzung von Forschung zum Beispiel in neue Produkte oder Dienstleistungen in den Blick zu nehmen“, sagt der Berater und ehemalige Manager bei Ebay, Xing und der Boston Consulting Group.

Historische Trennung in der Förderung

Das Konzept für die Dati hatte die Ampel-Regierung in ihrer letzten Kabinettssitzung verabschiedet. Wie und ob es im Haushalt verankert und von einer Folgeregierung umgesetzt wird, ist noch offen. Als Mission für die Agentur hatte die Gründungskommission, die im Auftrag der ehemaligen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) arbeitete, das Schlagwort „Transferexzellenz“ ausgegeben.

Das Ziel: mehr Anreize nicht nur für die in Deutschland traditionell starke Grundlagenforschung, sondern auch die Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis zu schaffen.

Die Trennung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung in der staatlichen Förderung entwickelte sich erst in den 50er-Jahren. Sie geht nach Einschätzung des deutschen Wissenschaftsrates auf die „unrühmliche Rolle“ zurück, die ein Teil der Wissenschaftler im Dritten Reich gespielt hatten.

Viele hatten – von militärischen Anwendungen bis zu medizinischen Experimenten – mit den Nazis kollaboriert. Nach dem Krieg betonten Grundlagenforscher ihre Unabhängigkeit von den Zielen der gegenwärtigen Praxis.

Heute allerdings tut mehr Verzahnung mit der Praxis gerade in Deutschland Not. Das Land steckt in einem tiefgreifenden Strukturwandel und ist auf innovative Ideen, neue Technologien und Gründergeist angewiesen, um den Wohlstand zu erhalten.

Denn während die Unternehmen im Land laut repräsentativer Umfragen des ZEW Mannheim stagnierende Ausgaben für Innovationen signalisieren, holen andere Länder bei der Innovationskraft auf. So hat sich Korea im „Global Innovation Index“ der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) im Jahr 2024 nach vorn geschoben und Deutschland auf den neunten Platz verdrängt.

Auf den drei vorderen Plätzen rangieren seit Jahren die Schweiz, Schweden und die USA. In den Index fließen mehr als 80 Faktoren ein, die zu Innovationen in einer Volkswirtschaft beitragen, darunter auch die Zahl der Patentanmeldungen und die Zahl der Ausgründungen aus Universitäten.

Auf beiden Gebieten liegt die TU München deutschlandweit vorn. Nach einer Auswertung der Patentdatenbank des Kölner IW meldeten die TU München und ihr angegliederte Institute in den Jahren 2017 bis 2021 insgesamt 211 internationale Patente an. Sie ist damit weltweit auf Platz zwanzig. Die nächste deutsche Universität ist die TU Dresden auf Platz 34 mit 136 Patenten.

Die TU München dominiert in Deutschland auch bei den Ausgründungen. Nach einer Auswertung einer Reihe von Gründerdatenbanken haben Absolventen der TUM zwischen 2014 und 2022 insgesamt 810 Start-ups gegründet. Auf Rang zwei folgte die TU Berlin mit 466 Gründungen.

Überdies gibt es umfangreiche Kooperationen zwischen großen Unternehmen und der Hochschule. So wurden im Jahr 2024 zwei Forschungszentren – eines gemeinsam mit SAP und eines mit Siemens – in München eröffnet, an denen Hunderte von Wissenschaftlern gemeinsam mit Praktikern aus den Unternehmen anwendungsnah an Software, Robotik oder Automatisierung arbeiten.

In den Augen von TUM-Präsident Thomas Hofmann kommt es vor allem auf das „Mindset der Forschenden“ an. Ihre Einstellung sei zentral, um Ergebnisse der Wissenschaft auf den Markt und damit in die Anwendung zu bringen. Die Hochschulen könnten dann mit „professioneller Förderung“ entscheidende Hilfestellung für einen erfolgreichen Technologietransfer leisten – „vom Patentwesen über die intensive Zusammenarbeit mit Unternehmen bis zur Gründung von Start-ups“, beschreibt Hofmann.

Forscher Koppel vom IW hat auch für die Universitäten noch einen Verbesserungsvorschlag: Sie sollten die Lizenzverträge mit ihren Kooperationspartnern aus der Wirtschaft möglichst einfach gestalten. Vorbild könne das Weizmann-Institut in Israel sein, so Koppel. Dort bezahlten Unternehmen für von ihnen genutzte Patente häufig erst, wenn sie damit auch Umsatz oder bereits Ertrag erzielten.

Inga Michler ist Wirtschaftsreporterin bei WELT und moderiert große Wirtschaftskongresse. Die promovierte Volkswirtin berichtet über ökonomische Transformation, künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit, Familienunternehmen, Philanthropie und Leadership.