Diese Typen bedeuten was

Ein gutes Verbrechen tut entweder niemandem weh oder es trifft die richtigen. In David Simons Buch , aus dem der Erfinder von später auch eine Fernsehserie machte, unterscheiden die Heroinabhängigen in Baltimore zwischen und . Ersteres sind Gaunereien, die einem den nächsten Schuss finanzieren, der Diebstahl von Kupferleitungen aus einem Haus zum Beispiel, das ohnehin seit Jahren leer steht. Zweiteres sind Verbrechen mit echten Leidtragenden und Konsequenzen, falls etwas schiefgeht, Einbrüche bei Familien zum Beispiel, die genauso schlecht dran sind wie man selbst. Faustregel aus : Erst wenn man bereit ist, sich das Heroin durch richtige Verbrechen zu beschaffen, hat man auch ein richtiges Drogenproblem.

Das ist natürlich Junkie-Logik, zumal die Grenzen zwischen und fließend verlaufen. Die Serie zeigt jetzt bei Apple TV+, wie schnell eins zum anderen werden kann: Zwei Freunde mit unterschiedlich großen Suchtproblemen spezialisieren sich darin auf den Überfall sogenannter . Verkleidet als Polizisten der Drug Enforcement Agency dringen sie in Wohnungen und Häuser ein, in denen größere – aber nicht zu große! – Mengen an Heroin, Kokain oder Meth gelagert werden. Drogen und Geld nehmen sie mit, die überrumpelten Dealer bleiben mit einer Verwarnung zurück. Wenn der Schwindel auffliegt, sind die Räuber in der Regel schon zwei weiter.

Bis sie es eben nicht mehr sind. Gleich in der ersten, von Ridley Scott inszenierten -Folge geht ein Einbruch auf besonders blutige und explosive Weise schief. Ray Driscoll (Brian Tyree Henry) und Manny Carvalho (Wagner Moura) entkommen, ihr einmaliger Komplize und mindestens ein vermeintlicher Drogendealer sterben. Die zuvor halbwegs stabilen Männer haben in den sieben weiteren Episoden der Serie deshalb nicht mehr nur Ärger mit Ziehmutter (Driscoll), Ehefrau (Carvalho) und möglichen Rückfällen in alte Suchtmuster (beide), sondern auch mit rivalisierenden Drogenbanden, Motorradgangs und den Amish People im Großraum Philadelphia.

zeigt diesen Ärger als , in dem niemand vorankommt, und als , in dem sich die Freunde gegeneinander wenden. Immer wieder verdichtet die Serie ihr Geschehen auf engstem Raum, in Autos oder Motelzimmern, die als Versteck dienen. Versehentlich abgefeuerte Waffen können dort ebenso gefährlich werden wie der Lagerkoller, der die Geflüchteten und ihre jeweiligen Angehörigen ergreift. Graubereiche zwischen Vertrauen und Skepsis prägen ihre Beziehungen zueinander und fördern die paranoide Grundstimmung der Serie. Jeder hat jeden schon einmal verraten oder wenigstens mit dem Gedanken gespielt, es zu tun. Driscoll und Carvalho zweifeln außerdem zu Recht an der Nüchternheit des jeweils anderen.

Spricht man ihn nur schnodderig genug aus, klingt der Titel von schnell nach , einem Slangbegriff für Drogensüchtige. Zufall wird das nicht sein: Zwischen „ein Tag nach dem anderen“dem Credo der Anonymen Alkoholiker, und „einmal ist keinmal“ verläuft eine weitere fließende Grenze der Serie. erinnert damit ebenso an die Buch- und Fernsehprojekte von David Simon wie mit der offensiv ausgestellten Polizeigewalt, die sich Driscoll und Carvalho durch eine besonders perfide Form der kulturellen Aneignung zunutze machen. Schon in wusste man nach wenigen Folgen nicht mehr, wer hier eigentlich am kriminellsten ist. erzielt den gleichen Effekt in wenigen Minuten.

Und dann ist die Serie auch noch witzig. Peter Craig hat sie geschrieben, ein Autor, der bisher vor allem für kommerziell erfolgreiches und sogar oscarnominiertes Kino verantwortlich war: , . Wichtigstes Vorgängerprojekt für ist jedoch seine düstere Cop-Komödie mit Will Smith und Martin Lawrence. Den rauen Umgangston dieser beiden Polizisten überträgt Craig auf die Serie und differenziert ihn noch einmal aus. Driscoll und Carvalho sind hochtrabende Sprücheklopfer, ständige Sticheleien gegeneinander bestimmen ihr Verhältnis ebenso wie Misstrauen und Missgunst. Geteilte Nahtoderfahrungen führen sie jedoch immer wieder zusammen. Hier gehen zwei im selben Boot unter.

Man kann nicht anders, als sich diesen Männern zu verschreiben, auch weil Brian Tyree Henry und Wagner Moura ihre Schicksale so gut verkaufen. Beide haben bereits legendäre Fernsehfiguren gespielt, Henry den muffeligen Rapper Paper Boi in (2016 bis 2022), Moura den muffeligen Drogenboss Pablo Escobar in (2015 bis 2017). Was den Schauspielern in diesen Rollen noch ins Gesicht geschrieben stand, ergreift sie diesmal vollständig. Zu den traurigen Augen und leeren Blicken, die in ihren früheren Serien zur Vorlage zahlreicher Memes wurden, kommen verbeulte und zerschrammte Körper hinzu. Ein Hinweis natürlich auf das Innenleben der Figuren, nicht wahnsinnig subtil, aber aufopferungsvoll gespielt.

Folge sechs von markiert den Höhepunkt dieser Opferbereitschaft. Nicht zum ersten Mal wird Driscoll angeschossen, diesmal ist es jedoch besonders schlimm. Seine Ziehmutter (Kate Mulgrew) verarztet ihn notdürftig, auch der lange inhaftierte Vater (Ving Rhames) ist plötzlich wieder da und bewacht das Motelzimmer. Driscoll hasst diesen Mann, das weiß man aus früheren Episoden von . Man weiß aber auch, dass er die Mütze genauso schief auf dem Kopf trägt wie sein Vater, was abermals nicht wahnsinnig subtil, aber doch effektiv auf ein Verhältnis hinweist, das über eindimensionale Gefühle hinausgeht.

Gepaart mit viel Blut fließen diese Gefühle nun aus dem Schauspieler Henry und seiner Figur Driscoll heraus. Es ist ein regelrechter Platzregen, der da runterkommt, ein Moment der kompletten Überwältigung, wie er in TV-Serien nicht mehr oft passiert. beschwört damit jedoch nicht das Reinigende eines ordentlichen Wolkenbruchs herauf, die Situation ist anschließend genauso aussichtslos wie vorher. Driscoll schwitzt und fiebert einfach weiter, so wie man auch als Zuschauer weiter schwitzt und mitfiebert. Der Typ bedeutet etwas, es ist einem nicht egal, wie die Sache für ihn ausgeht. In Zeiten, in denen das Fernsehen täglich neue Polizisten, Verbrecher, Junkies und sonstige arme Schweine verpulvert, kann eine Serie gar nichts Größeres leisten.

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