Der Wirtschaft fällt es schwer, sich zwischen Schwarz-Rot und Schwarz-Grün zu entscheiden, wenn es um die bevorzugte Farbkombination der nächsten Bundesregierung geht. Das geht aus einer Umfrage bei mehr als 30 Wirtschaftsverbänden von WELT AM SONNTAG hervor.
Gefragt wurde, welche der beiden aktuell wahrscheinlichsten Koalitionen besser für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts wäre. Kein einziger Verband wollte sich für das eine oder das andere Bündnis aussprechen.
Dahinter mögen taktische Überlegungen stecken. Jeder Lobbyist weiß, dass er am Ende mit der Regierung zusammenarbeiten muss, ganz gleich welche Parteien dieser angehören. Doch die Zurückhaltung liegt sicherlich auch daran, dass mangels Erfolgsphantasie angesichts der für die FDP ernüchternden Meinungsumfragen nach dem Lieblingsbündnis der Wirtschaft nicht gefragt wurde: nach Schwarz-Gelb.
In einer eigenen Erhebung hatte der Groß- und Außenhandelsverband BGA im Dezember 4000 Mitgliedsunternehmen nach ihrer bevorzugten Koalition nach der Wahl am 23. Februar befragt. Immerhin 721 antworteten.
Das Ergebnis: Fast jedes zweite Mitglied sprach sich für eine Koalition der Union und der Liberalen aus, genau waren es 47 Prozent. Lediglich 16 Prozent konnten sich ein Bündnis aus CDU/CSU und SPD vorstellen, sogar nur 13 Prozent hielten eine Koalition aus CDU/CSU und Grünen für erfolgversprechend.
„Nach zwölf Jahren von reinen Zweckbündnissen auf Bundesebene sehen wir, wohin uns diese Stillstandskoalitionen gebracht haben“, sagte BGA-Präsident Dirk Jandura dieser Zeitung zu den bislang unveröffentlichten Ergebnissen. Er wolle eine neue Bundesregierung, die konsequent auf angebotsorientierte Wirtschaftspolitik setze. „Wir brauchen einen Kurswechsel, sofort.“
Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes, sagte, der Blick in die Wahlprogramme zeige, dass es deutliche Unterschiede zwischen Schwarz und Gelb auf der einen und Rot und Grün auf der anderen Seite gebe. SPD und Grüne hätten „deutlich Luft nach oben, wenn es um die Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ gehe. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger verwies darauf, dass Union und FDP „das beste Angebot“ für die Wirtschaft hätten.
Andere Verbände beschränkten sich auf allgemeine Appelle. „Wir erwarten, dass sich alle Parteien bewegen und aus der Reformlethargie herauskommen“, sagte Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.
Es sei allerhöchste Zeit, den Veränderungsnotstand in Deutschland zu überwinden. Wer nicht bereit sei, über seinen Schatten zu springen und mutige Reformen anzustoßen, habe den enormen Handlungsdruck nicht erkannt.
Ähnlich klingt dies bei der für Deutschland wichtigen Chemieindustrie. „Wir propagieren keine Wunschkoalition, sondern eine stabile Regierung. Wir erwarten Taten – von Schwarz, Rot, Grün oder Gelb“, sagte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie.
Wer an die Macht komme, müsse den „industriepolitischen Neustart zur Chefsache“ machen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie verlangt vor allem mehr Verlässlichkeit.
„Egal welche Koalition – die Unternehmen brauchen Planungssicherheit statt ideologisches Pingpong“, sagte Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff. Wirtschaft funktioniere nicht auf Zuruf. Wer Investitionen wolle, müsse den Rahmen dafür langfristig setzen.
Verbreitet ist in der Wirtschaft die Sorge, dass sich auch mit der Union in der Führungsrolle der künftigen Regierung wenig ändert.
„Das Programm der CDU spricht den Leistungsträgern des Mittelstands aus der Seele“, sagte Christoph Ahlhaus, einst selbst aktiver CDU-Politiker, heute Geschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft. „Was fehlt, ist das Vertrauen, dass Friedrich Merz mit 30+x Prozent seine Wirtschaftsagenda – egal ob mit Rot oder Grün – auch wirklich auf die Straße bringt.“
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.