Die unerfüllte Hoffnung auf den Einzelhandel als Wachstumstreiber

Der Einzelhandel fällt als Konjunkturstütze in Deutschland aus. Jedenfalls korrigiert der Branchenverband HDE mit Beginn des Weihnachtsgeschäfts seine Jahresprognose deutlich nach unten. Statt eines bislang vorhergesagten Umsatzwachstums in Höhe von nominal 3,5 Prozent, werden jetzt nur noch 1,3 Prozent erwartet und damit weniger als die Hälfte des ursprünglichen Wertes. Real – also bereinigt um Preissteigerungen – entspricht das einem Nullwachstum, der stationäre Handel liegt sogar leicht im Minus.

„Wir sind sehr gut ins Jahr gestartet, dann aber leider in einen Gleitflug übergegangen“, kommentiert Alexander von Preen, der Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE). „Deswegen mussten wir die Prognose auf einen realistischen Wert reduzieren.“

Lange Zeit hatten Ökonomen wie auch das Bundeswirtschaftsministerium noch mit einer guten Entwicklung im Einzelhandel gerechnet und die 650-Milliarden-Euro-Branche als Treiber für Wirtschaftswachstum gesehen. „Diese positive Schau nach vorn hat sich leider nicht bewiesen“, sagt von Preen. Und dafür macht der Handel im Wesentlichen die Politik verantwortlich.

Jedenfalls beschwert sich der HDE zum einen über schlechte Rahmenbedingungen für die Unternehmen hierzulande mit überbordender Bürokratie, zu viel Regulierung, hohen Steuern und unfairen Wettbewerbsbedingungen zum Beispiel gegenüber asiatischen Onlineplattformen. Zum anderen kritisiert der Verband eine innenpolitisch verursachte Unsicherheit, die Verbraucher vom Einkaufen abhält. „Krisen sind zum Dauerzustand geworden.“

Und das wirke sich aus. „Es ist eine Binsenweisheit, dass der Konsum zu einem hohen Anteil Psychologie ist“, sagt von Preen. „Die Menschen halten ihr Geld einfach zusammen.“

Die Erwartungen an das so wichtige Weihnachtsgeschäft im November und Dezember, in dem einzelne Teilbranchen wie zum Beispiel Spielwaren, Bücher oder Glas und Keramik bis zu 40 Prozent ihres Jahresumsatzes erzielen, sind dementsprechend verhalten. Laut einer aktuellen HDE-Umfrage rechnen lediglich 15 Prozent der knapp 300 befragten Händler aus dem Non-Food-Bereich mit besseren Geschäften als im Vorjahr.

Umgekehrt glauben aufgrund der miesen Stimmung 42 Prozent der Betriebe an schlechtere und elf Prozent sogar an deutlich schlechtere Verkäufe als noch 2023. Dazu passt auch die Selbsteinschätzung der Konsumenten: Laut einer repräsentativen YouGov-Untersuchung im Auftrag des Handelsverbands planen lediglich elf Prozent der gut 2000 Mitte Oktober befragten Verbraucher Mehrausgaben für Geschenke.

„Verunsicherung durch Krisen, Kriege und gestiegene Preise“

Und das, obwohl sich die Stimmung zuletzt schon aufgehellt hat. So berichten die Marktforscher der GfK für Oktober vom besten Konsumklima-Wert seit April 2022. „Wobei das Niveau weiterhin niedrig ist“, heißt es von den Experten zur Einordnung.

„Die Verunsicherung durch Krisen, Kriege und gestiegene Preise ist derzeit immer noch sehr ausgeprägt und verhindert, dass für den Konsum positive Faktoren, wie spürbare reale Einkommenszuwächse, nicht ihre volle Wirkung entfalten können“, erklärt Rolf Bürkl, der Konsumexperte beim Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM). „Meldungen über eine steigende Zahl an Unternehmensinsolvenzen und über Beschäftigungsabbaupläne sowie Produktionsverlagerungen ins Ausland verhindern zudem eine deutlichere Erholung der Konsumstimmung.“

Auch der HDE registriert in seiner Verbraucherbefragung zunehmende Sorgen um die Konjunktur in Deutschland und in der Folge um den eigenen Arbeitsplatz. Das halte die Sparneigung auf hohem Niveau. Jedenfalls liege die für 2024 erwartete Quote mit 11,1 Prozent abermals merklich über den ohnehin schon gewohnt hohen Werten hierzulande. Dazu kommt als belastender Faktor auch die Preiswahrnehmung der Verbraucher.

Zwar hat sich die Inflation zuletzt spürbar abgeschwächt. „Nach dem Empfinden der Kunden sind die Preise jedoch vielfach immer noch hoch“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Vor allem Lebensmittel seien zuletzt wieder spürbar teurer geworden. „Das hat auch Auswirkungen auf das Konsumverhalten insgesamt.“

Verzichtet wird dabei vor allem auf nicht unbedingt notwendige Anschaffungen wie Elektronik, Haushaltsprodukte, Möbel, Kleidung und Schuhe. Das zeigen auch die zahlreichen Insolvenzen von Händlern und Herstellern aus diesen Bereichen in den vergangenen Wochen und Monaten.

Sichtbar wird das in den Fußgängerzonen, wo vielerorts die Warenhäuser von Galeria verschwinden, sich Modeanbieter wie Scotch&Soda oder Esprit komplett zurückziehen oder auch Geschäfte der Deko-Kette Depot auf der Kippe stehen. Der HDE rechnet mit in Summe rund 5000 Geschäften weniger zum Jahresende. Wobei sich das Ladensterben damit sogar noch halbiert hat gegenüber den Vorjahren. Übrig sind nun nach Verbandsangaben rund 306.000 stationäre Läden.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.