Der oberste iranische Führer hat Rache geschworen: Israel
habe einen schweren Fehler begangen, sagte Ajatollah Ali Chamenei nach den
Angriffen auf den Iran. Die von
israelischen Einheiten getöteten Befehlshaber und Atomwissenschaftler nannte er Märtyrer im Heiligen Krieg. Und befahl den Gegenangriff. Ein
starrköpfiger Greis von 86 Jahren, der die Welt durch seine ideologische Brille
betrachtet. Und keine Alternative weit und breit. Es ist sogar wahrscheinlich,
dass Chaos im Iran ausbräche, würde Chamenei ebenfalls getötet.
Seit Freitag dauert der Schlagabtausch an. Beide Seiten
haben bei ihrem Gegner schwere Schäden angerichtet. Auf beiden Seiten gibt es viele Opfer. Militärisch ist Israel wohl weitaus stärker als der Iran,
aber trotzdem nicht in der Lage, sein Ziel zu erreichen, die iranischen
Atomanlagen vollständig zu zerstören. Dazu besitzt Israel nicht die nötigen
Waffen, sogenannte Bunkerbrecher, um die gut geschützten und tief im Untergrund
befindlichen Atomanlagen entscheidend zu zerstören.
Israel begründet den Angriff mit der Gefahr, die von einem
nuklear bewaffneten Iran für die Existenz Israels ausgeht. Seit mehr als 20
Jahren behauptet Israel, Iran stehe kurz vor dem Bau von Atombomben. Doch weder die Geheimdienste der USA noch die Internationale Atomenergie-Organisation haben bisher endgültige Beweise dafür liefern können. Demnach bestand keine
unmittelbare Bedrohung der Existenz Israels. Im Gegenteil, Israel war es
gelungen, die wichtigsten Verbündeten Irans in Syrien, Irak, Libanon und anderen
Staaten der Region weitgehend auszuschalten und damit den Iran erheblich zu
schwächen. So gesehen war der israelische Angriff unter dem Vorwand der
Selbstverteidigung rechtlich nicht legitimiert. Allerdings darf nicht außer
Acht gelassen werden, dass die Islamische Republik seit ihrem Bestehen die
Feindschaft zu Israel und die Vernichtung des Landes propagiert.
Auch das zweite Ziel, das sich Israel laut Ministerpräsident
Benjamin Netanyahu gesetzt hat, einen Regimewechsel im Iran herbeizuführen,
wird kaum realisierbar sein. Fest steht, dass es Ajatollah Ali Chamenei nur
um den Erhalt seiner Macht geht. Dafür ist er, wie
seine bald vier Jahrzehnte währende Amtszeit zeigt, zu jeder Tat und Untat
bereit.
Zwar wird seit Jahren von einem baldigen Sturz des Regimes
gesprochen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist unzufrieden. Mehrere
landesweite Proteste, die zuletzt unter der Parole „Frau, Leben, Freiheit“ stattfanden, die katastrophalen wirtschaftlichen Zustände und die eklatante
Missachtung der Menschenrechte haben die Basis des Regimes in der Bevölkerung
immer weiter geschmälert. Die klerikale Diktatur kann nur noch mit Gewalt ihre
Macht aufrechterhalten. Für viele Menschen ist die Lage so unerträglich, dass
sie sogar hoffen, ein Angriff von außen könnte endlich das Leben unter dieser
brutalen Diktatur beenden. So auch jetzt bei den jüngsten israelischen
Angriffen.
Dennoch scheint die Ankündigung Netanjahus, es werde bald zu
einem Regimewechsel im Iran kommen, wohl eher ein Wunschdenken als realistisch.
Israel habe nun durch den Angriff den Weg in die Freiheit für das iranische
Volk geebnet, sagte Netanjahu, den Rest werde das „tapfere iranische Volk“
selbst erledigen. Es werde Massenaufstände gegen das Regime geben, sodass es
bald zum Sturz der Islamischen Republik kommen werde. Das ist aber unter den
gegenwärtigen Umständen kaum denkbar. Denn zwar ist das Regime bei den meisten
Menschen in Iran verhasst, gleichzeitig ist der Patriotismus unter Iranern weitverbreitet. Die Menschen werden sich auch fragen, wie glaubwürdig das bekundete
Interesse Netanyahus für das Wohl der Iranerinnen und Iraner ist, wenn er
gleichzeitig Tausende Kinder und Frauen in Gaza töten und hungern lässt.
Die Sehnsucht nach Freiheit
Ja, die Iranerinnen und Iraner, allen voran Frauen und Jugendliche, sehnen sich nach Freiheit, nach einem unbeschwerten Leben, in dem
sie selbst bestimmen, was sie tun. Die meisten sind jedoch, wie die Geschichte
des Landes zeigt, nicht bereit, mithilfe einer ausländischen Macht einen
Wandel herbeizuführen. Ohnehin ist ein Regimewechsel durch Luftangriffe nicht
möglich. Eine Bodenoffensive gegen das riesige Land würden jedoch weder Israel noch
die USA riskieren. Irans Regime verfügt über einen beachtlichen Machtapparat
und über Anhänger, die existenziell an Chameneis Regime gebunden sind. Es steht zu befürchten, dass die herrschenden Kleriker in Zukunft weit brutaler als
bisher gegen Oppositionelle vorgehen werden – unter dem Vorwand, die nationale Identität und territoriale Integrität
zu verteidigen. Zudem werden die Menschen
in Iran kaum der Forderung Netanjahus folgen, auf die Straße zu gehen und ihr
Leben zu riskieren, solange es keine ernst zu nehmende Alternative gibt.