„Die Nachfrage wächst in allen Segmenten. Das hatten wir so noch nie“

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist Martin Johannsmann in der maritimen Industrie tätig, derzeit als Geschäftsführer von SKF Marine in Hamburg. Beim Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) leitet er die Arbeitsgemeinschaft Marine Equipment and Systems. Krisen und Aufschwungphasen hat er in seiner Branche oft erlebt, das aktuelle Phänomen aber noch nie: „Alle Segmente ziehen und haben Nachfrage“, sagt er am Mittwoch bei der Jahrespressekonferenz im Hafen Klub an den Landungsbrücken in Hamburg.

Alle Segmente heißt in diesem Fall: Das Geschäft mit Ausstattung von Handelsschiffen floriert ebenso wie der Bau von Marineschiffen und von Meerestechnik. Im vergangenen Jahr verzeichneten die deutschen Schiffbau-Zulieferunternehmen 11,9 Milliarden Euro Umsatz, 5,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor, die Folgen der Pandemie sind überwunden. Der Auftragseingang stieg 2024 im Durchschnitt um 4,6 Prozent – nach zwei für die Branche bereits starken Jahren. „Für das kommende Jahr zeichnet sich laut Einschätzung der teilnehmenden Unternehmen ein konstanter oder zunehmender Auftragseingang ab“, sagt Volker Behrens, Geschäftsführer von Schoenrock Hydraulik Marine Systems in Tornesch bei Hamburg. „Weniger als 20 Prozent erwarten eine Abnahme des Auftragseingangs. Auch mittelfristig gehen fast zwei Drittel der VDMA-Mitgliedsunternehmen von einer positiven Marktentwicklung aus.“

Die Schiffbau-Zulieferbranche ist der weitaus wichtigste Teil der deutschen maritimen Industrie. Bundesweit beschäftigen die Unternehmen, die dem Marktsegment zugerechnet werden, derzeit etwa 65.000 Menschen, rund 1,2 Prozent mehr als Mitte 2024. Zum Vergleich: In den Stammbelegschaften der deutschen Werften arbeiten derzeit rund 16.000 Menschen. Beim Umsatz liegen Schiffbau-Zulieferunternehmen aus Baden-Württemberg mit 27 Prozent an der Spitze der deutschen Bundesländer vor Bayern mit 23 Prozent. Auf Hamburg entfallen zehn Prozent des Branchenumsatzes, auf Schleswig-Holstein acht und auf Niedersachsen sechs Prozent.

Die deutschen Schiffbau-Zulieferer sind global tätig, sie rüsten alle Schiffstypen mit aus. Die Exportquote der Branche liegt bei 81 Prozent. Der Anteil der Ausrüstungen an der Wertschöpfung eines gesamten Schiffes, über den stählernen Rumpf hinaus, liegt zum Beispiel bei einem großen Containerschiff, wie es heutzutage in China oder Südkorea für Reedereien weltweit gebaut wird, bei mehr als 60 Prozent. In einem Kreuzfahrtschiff, wie es etwa die Papenburger Meyer Werft baut, umfasst der Wert der Ausrüstungen über den reinen Stahlbau hinaus rund 90 Prozent.

Deutsche Spitzenprodukte sind etwa Schiffspropeller von Mecklenburger Metallguss in Waren an der Müritz oder Schiffsmotoren von Everllence (früher MAN Energy Solutions). SKF Marine wiederum fertigt zum Beispiel Stabilisatoren für die Rümpfe von Kreuzfahrtschiffen, um deren Rollbewegung auf See zu minimieren, aber auch Unterwasserturbinen zur Energiegewinnung. Atlas Elektronik wiederum, das zur Marinewerft TKMS und damit bislang noch zum ThyssenKrupp-Konzern gehört, ist ein international führender Hersteller von maritimer Ortungs-, Kommunikations- und Navigationstechnologie, speziell auch für Marineschiffe.

Zwei Faktoren treiben das Geschäft der deutschen Schiffbau-Zulieferer derzeit besonders an: die internationale maritime Aufrüstung und der Umweltschutz speziell bei den Handelsschiffen. Der absehbar höhere Auftragsbestand aus der anstehenden deutschen Marinerüstung sei dabei bislang noch nicht bei den Zulieferunternehmen und Ausrüstern angekommen, sagt Johannsmann.

Anders sei dies beim Thema Umwelt- und Klimaschutz: Die Mitgliedstaaten der Internationalen Maritimen Organisation (IMO) haben sich im vergangenen Jahr darauf verständigt, in der Handelsschifffahrt bis 2050 einen klimaneutralen Betrieb zu erreichen. Die Modernisierung der Flotten, etwa bei Reedereien wie Hapag-Lloyd oder Maersk, läuft auf vollen Touren – um den Energieverbrauch der Schiffe zu senken, und um neue Kraftstoffe, etwa auch klimaneutral, synthetisch erzeugtes Methanol und Ammoniak, in den Betrieb der Flotten zu bringen. „Umwelt- und Klimaschutz ist ein großer Treiber“, sagt Johannsmann. „Es gibt in der Schifffahrt riesige Investitionen in ,grün‘ und ,sauber‘. Für viele Unternehmen unserer Branche ist das eine Sonderkonjunktur im großen Maßstab.“

Auch mit Blick auf China sind die deutschen Schiffbau-Zulieferunternehmen optimistischer als etwa die Werften. Beim Bau von Handelsschiffen dominieren chinesischen Werften mittlerweile den Weltmarkt, nur Südkorea kann beim Bauvolumen noch mithalten. Bei den Zulieferunternehmen sei das Bild aber sehr viel differenzierter, sagt Johannsmann, etliche deutsche Unternehmen hätten weiterhin einen klaren technischen Vorsprung vor den chinesischen Herstellern.

Wichtig sei vor allem Transparenz am Markt: „Die kürzlich veröffentlichte China-Position des VDMA setzt auf faire Wettbewerbsbedingungen und appelliert an die Bundesregierung, sich für bessere Rahmenbedingungen in Deutschland einzusetzen und so die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken. Wir erwarten hier auf jeden Fall mehr von der deutschen Politik.“

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über die maritime Wirtschaft, über Schifffahrt, Häfen und Werften.