„Die MAGA-Loyalität speist sich aus einem Willen zur Bereicherung“

 

ZEIT ONLINE: Quinn Slobodian, worüber denken Sie gerade nach?

Quinn Slobodian: Ich denke darüber nach, wann genau die USA, einst die freigiebigen Anführer der westlichen Welt, in diese panische Abwehrhaltung geraten sind, die wir gerade beobachten.

ZEIT ONLINE: Sie meinen, die Zollpolitik der Trump-Regierung hat eine lange Vorgeschichte?

Slobodian: Robert Lighthizer, der Handelsbeauftragte in Trumps erster Amtszeit, war unter Präsident Ronald Reagan, also vor 40 Jahren, schon stellvertretender Handelsbeauftragter. Er verfolgte unter Trump einen Ansatz, der bereits unter Reagan galt: Man setzte vor allem auf nichttarifäre Handelshemmnisse …

ZEIT ONLINE: … also keine Zölle, sondern Einfuhrhöchstmengen oder Zulassungsstandards, die auch den Handel einschränken.

Slobodian: Ja, es ging darum, Teile der amerikanischen Auto- und Halbleiterindustrie gegen ausländische Konkurrenz zu schützen. Damit wichen die USA zwar von den Prinzipien des Freihandels ab, aber eben auch nicht zu sehr. Trumps erste Amtszeit zielte somit auf eine Reform, nicht auf die radikale Ablehnung der globalen Handelsarchitektur. Auch in Bezug auf China wollte man durch Handelspolitik vor allem besseren Zugang zu dessen Binnenmarkt erreichen, keine völlige Entkopplung.

ZEIT ONLINE: In Trumps zweiter Amtszeit liegen die Dinge nun anders.

Slobodian: Die Zölle gegenüber China sind mit 145 Prozent mittlerweile so hoch, dass sie langfristig die internationale Arbeitsteilung zerstören würden. Sollte das Ziel dahinter die Re-Industrialisierung der USA sein, wird das kurzfristig nicht funktionieren. Dafür bräuchte man Öffentlich-Private Partnerschaften, staatliche Subventionen sowie Abstimmungen mit dem Industriesektor. Deshalb erscheint Trumps aktuelle Zollpolitik vielmehr wie ein Akt präsidialer Willkür, ein machtpolitischer Selbstzweck, ohne ökonomische Theorie dahinter.      

ZEIT ONLINE: Die ging sogar noch einen Schritt weiter und verbuchte Trumps Zollpolitik als Ausdruck eines mafiösen Politikstils. Und tatsächlich prahlte der US-Präsident jüngst damit, dass ausländische Regierungsvertreter nun nach Washington pilgerten, um ihm für einen Deal „den Arsch zu küssen„. 

Slobodian: Mit der ersten Welle von Zöllen wollte Trump herausfinden, welche Länder klein beigeben und welche zurückschlagen. Erstere wurden belohnt, zweitere bestraft. Das folgt Trumps üblichem Playbook. In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einen Blick auf Peter Navarro zu werfen, Trumps sogenannter Direktor für Handel und Industriepolitik und Leiter des Nationalen Handelrats.

ZEIT ONLINE: Warum?

Slobodian: Weil es drei unterschiedliche Perspektiven auf ihn gibt. In der ersten ist er ein geradezu obsessiver Gegner Chinas. 2011 veröffentlichte er mit einem Co-Autor das Science-Fiktion-artige Buch . Darin wird beispielsweise erzählt, dass Menschen in der Zukunft wegen gepanschter Diabetesmedikamente aus China sterben und Kriminelle ihr Unwesen treiben, weil sie high von chinesischem Super-Cannabis sind. Ebenso bekommen die Amerikaner beim Verlassen ihrer Häuser Atemnot, weil überall „Chog“ herrsche, wie die Autoren das nennen, aus China kommender Smog.

ZEIT ONLINE: Das hat Trumps einflussreicher Handelsberater geschrieben?

Slobodian: Das Buch wurde sogar als eine Art Dokumentation verfilmt, mit der Erzählstimme von Martin Sheen. Finanziert hat das ganze Nucor, einer der größten amerikanischen Stahlproduzenten. Im Film gibt es auch eine Szene, in der ein riesiges Messer mit der Aufschrift „Made in China“ in die Landkarte der USA gerammt wird, aus der dann Blut spritzt. Hier zeigt sich bei Navarro also die rassistisch imprägnierte Angst vor Chinas Aufstieg. Das ist zweifellos paranoid, aber immerhin noch einigermaßen konsistent.

ZEIT ONLINE: Wie lautet die zweite Perspektive auf ihn?

Slobodian: Navarro trat auch als Investment-Berater auf und schrieb mehrere Bücher darüber, wie man erfolgreich an der Börse spekuliert. Eines davon trägt den Titel . Besieht man nun die vergangenen Wochen, allen voran das kurzfristige Aussetzen gerade erst verkündeter Zölle, ist Trumps Handelskrieg womöglich schlicht eine Mischung aus Insiderhandel und Marktmanipulation. MAGA-Loyalisten werden zum richtigen Zeitpunkt mit Informationen versorgt, sodass alle schnelles Geld verdienen.

ZEIT ONLINE: Und die dritte Perspektive?

Slobodian: Navarros Co-Autor bei war Greg Autry, ein Unternehmer im Bereich der kommerziellen Raumfahrt. In ihrem Buch argumentierten beide, man müsse China auch deshalb eindämmen, damit das Land den Weltraum nicht vor den USA kommerzialisiere. Insofern handelt es sich bei Navarro auch um einen Wirtschaftsnationalisten und Autarkie-Verfechter, der nicht nur das US-Territorium im Blick hat, sondern ebenso das kosmische Hinterland, in dem womöglich eine Unmenge Ressourcen zu holen sind.

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