„Die Kollegen würden gern Schiffe bauen, beschäftigen sich aber teils mit Rasenmähen“

Bei den Stammbelegschaften der deutschen Werften arbeiten derzeit rund 15.800 Menschen, etwa 800 mehr als im Vorjahreszeitraum. Das ist ein zentrales Ergebnis der Schiffbauumfrage 2024, die der Bezirk Küste der Gewerkschaft IG Metall am Freitag vorlegte, vier Tage vor Beginn der weltweit wichtigsten Leitmesse für Schiffbau und maritime Industrie, der SMM in Hamburg. Die Zahl der Beschäftigten stieg sowohl im Zivil- als auch im Marineschiffbau, und zwar insgesamt am stärksten in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Die Schiffbauumfrage der Bremer Agentur für Struktur- und Personalentwicklung für die IG Metall liefert regelmäßig das genaueste Bild vor allem zur Lage der deutschen Werften und obendrein auch Informationen zu den Schiffbau-Zulieferern. Die diesjährige Umfrage enthält durchaus viele optimistische Einschätzungen der befragten Betriebsräte. Überlagert wird die Situation allerdings von der existenziellen Krise der Meyer Werft in Papenburg, zu der inklusive Tochterunternehmen insgesamt 4200 Beschäftigte zählen, sowie des Werftenduos FSG/Nobiskrug in Flensburg und Rendsburg mit rund 500 Beschäftigten, das zum Investmentfonds Tennor von Lars Windhorst gehört.

„Der Schiffbau ist von strategischer Bedeutung für die Energieversorgung, für Handel und Sicherheit in Deutschland“, sagte Daniel Friedrich, Leiter des Bezirks Küste der IG Metall. „Wir brauchen weiterhin die Kenntnisse und Fertigkeiten im Land und dürfen nicht in eine weitere Abhängigkeit zum Beispiel von China geraten.“ Die volatile Lage mancher Werften und die derzeit besonders niedrige Ausbildungsquote von nur noch 5,2 Prozent verschärften den Fachkräftemangel, sagte Friedrich: „Die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe wird zukünftig stark davon abhängen, ausreichend Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Nur mit einer guten, eigenen Belegschaft, mit Tarifverträgen und mit Mitbestimmung lässt sich die Zukunft der Unternehmen und der Branche sichern.“

Die deutschen Werften sind nach teils brachialen Rationalisierungen und vielen Insolvenzen in den vergangenen Jahrzehnten mittlerweile fast ausschließlich bei der Fertigung technologisch hoch entwickelter Kreuzfahrtschiffe, Superyachten, Fähren, Spezialschiffe sowie im Bau von Marineschiffen aktiv. Trotzdem brechen immer wesentliche Unternehmen der Branche weg. Das liegt auch daran, dass die durchweg mittelständischen deutschen Werften des zivilen Schiffbaus immer wieder durch hohe finanzielle Lasten bedroht sind. Wirtschaftliche Erschütterungen wie die Welt-Finanzmarktkrise oder die Pandemie wirken im deutschen Schiffbau meist besonders heftig nach. Die Konkurrenz im Ausland hingegen – von der italienischen Kreuzfahrtschiff- und Marinewerft Fincantieri bis hin zum chinesischen Schiffbau – weiß in der Regel staatliche Unterstützung hinter sich.

Die Meyer Werft ringt derzeit um staatliche Hilfe, weil sie infolge der Pandemie trotz voller Auftragsbücher von der Insolvenz bedroht ist. Das Werftmanagement hatte keine Anpassungsklauseln gegen die starken Preissteigerungen der vergangenen Jahre mit den Kreuzfahrtreedereien vereinbart. 80 Prozent des Schiffspreises werden erst bei Ablieferung fällig, der Bau wird mit den 20 Prozent Anzahlung und durch Kredite finanziert. Das Land Niedersachsen und der Bund sollen nun für 400 Millionen Euro auf einige Jahre befristet 80 Prozent der Anteile an der Meyer Werft übernehmen, 20 Prozent behält die Familie Meyer. Die öffentliche Hand stellt zudem Bürgschaften für Kredite. Die nötigen Details seien allerdings noch nicht final verhandelt, sagte Heiko Messerschmidt, Branchenbeauftragter Schiffbau der IG Metall.

Noch schwieriger sieht es bei FSG und Nobiskrug aus, spezialisiert auf anspruchsvolle Fähren und Superyachten. Die Werften haben derzeit keine Aufträge mehr. „Mit dem Investmentfonds von Lars Windhorst als Eigner werden die Werften wohl auch keine Aufträge mehr bekommen“, sagte Messerschmidt. „Bei FSG und Nobiskrug werden Toiletten nicht mehr gereinigt und Mülltonnen nicht mehr geleert, weil es an Geld mangelt. Die Kollegen dort würden gern Schiffe bauen, beschäftigen sich aber teils damit, den Rasen zu mähen.“

Vor allem die Offshore-Windkraft und deren umfangreiche politische Ausbauziele in Europa könnten den deutschen Zivilschiffbau in den kommenden Jahren voranbringen. Die IG Metall geht davon aus, dass in Europa allein rund 140 Konverterstationen für die Landanschlüsse von küstenfernen Offshore-Windparks gebraucht werden, von denen jedes Exemplar etwa 1,5 Milliarden Euro kostet. Gebaut werden sollen solche Konverter voraussichtlich künftig von der Meyer Werft und dem belgischen Unternehmen Smulders in Rostock, von Rönner in Bremerhaven und auch von Thyssenkrupp Marine Systems in Wismar. Kommendes Jahr beginnen die Ausschreibungen für die nächsten Konverter im deutschen Teil der Nordsee. Der Bund hat dafür einen Bürgschaftsrahmen im Umfang von zehn Milliarden Euro geschaffen. „Dieser Rahmen ist solide, damit können die beteiligten Werften arbeiten“, sagte Friedrich.

Sehr viel stabiler und ausgelastet bis in die 2030er-Jahre ist hingegen der deutsche Marineschiffbau, der hauptsächlich bei TKMS in Kiel, bei Naval Vessels Lürssen (NVL) in Bremen, Hamburg und Wolgast und bei der Kieler Werft German Naval Yards stattfindet. Größte Unsicherheit hierbei ist derzeit, auf welche Weise TKMS mit seinen rund 4000 Mitarbeitern aus dem Essener Industrie- und Stahlkonzern Thyssenkrupp herausgelöst werden kann. Eine seit mehreren Monaten diskutierte Variante ist, dass der US-Investor Carlyle von Thyssenkrupp die Mehrheit an TKMS übernimmt und der Bund zudem eine Sperrminorität von 25,1 Prozent. Bei Thyssenkrupp allerdings gibt es derzeit erhebliche Verwerfungen um die Zukunft der Stahlsparte.

TKMS baut vor allem die weltweit modernsten, nicht atomar-getriebenen U-Boote, für die Deutsche Marine, in enger Kooperation mit Norwegen und auch für die Marinen anderer Länder. „TKMS ist ein Schlüsselunternehmen des deutschen Schiffbaus“, sagte Friedrich. „Die Zukunft des Unternehmens muss gesichert werden, unabhängig von den aktuellen Turbulenzen bei Thyssenkrupp.“