An Ostern nimmt sie sich Zeit für Freunde und Familie – und die Kirche: CDU-Politikerin Julia Klöckner (52, geschieden, keine Kinder) ist nicht nur neue Bundestagspräsidentin, sondern auch sehr gläubig (studierte Religionslehrerin). BILD begleitete sie am Montag bei ihrem ersten großen Rundgang über die Dachterrasse des Reichstags, seit sie die Hausherrin ist – und verabredet sich an Karfreitag mit ihr zum Telefon-Interview. Es galt das gesprochene Wort.
BILD: Frau Klöckner, hatten Sie je davon geträumt, das zweithöchste Amt in diesem Staat zu übernehmen?
Julia Klöckner: „Nein – geträumt habe ich davon nicht.“
Es gab Bilder von Ihnen und Friedrich Merz, nachdem Sie gewählt worden waren. Was hat er Ihnen da gesagt?
Klöckner: „Er hat gesagt: ‚Mach was draus‘, und er hat von Herzen gratuliert. Ihn hat es auch bewegt, weil ihm auch klar ist, welche Bedeutung für unsere Demokratie und den Parlamentarismus es hat, die Bundestagspräsidentin zu stellen. Und es ist das erste Amt, das wir besetzt haben nach der Bundestagswahl. Das war schon ein besonderer Moment für uns.“
Jeder Ihrer Vorgänger hatte seinen eigenen Stil. Kritiker sagen, teilweise agierten sie auch ein wenig wie aus dem Elfenbeinturm. Was für eine Bundestagspräsidentin wollen Sie sein?
Klöckner: „Klar prägt ein Amt auch eine Person, aber wichtig ist auch, dass eine Person das Amt prägt. Ich bin nach wie vor Abgeordnete und möchte dem Amt gerecht werden, mit entsprechender Würde natürlich – aber auch eine Sprache sprechen, die nachvollziehbar ist. Also eigentlich möchte ich die Julia Klöckner bleiben, die ich bin, mit Humor und Ernsthaftigkeit ausgestattet. Und: Verbinden und verbindlich sein.“
Bei unserem Fototermin auf der Reichstags-Dachterrasse wollten ja wirklich sprichwörtlich alle Besucher Selfies mit Ihnen.
Klöckner: „Viele junge Leute kontaktieren mich auch über die sozialen Netzwerke. Ich finde das nicht nur nett, sondern Hoffnung stiftend. Es wird so häufig davon geredet, dass Deutschland politikverdrossen sei und nichts von seinen Politikern hält. So pauschal kann man das nicht sagen. Wir sind das meistbesuchte Parlament auf der ganzen Welt. Interesse ist da – wir dürfen es nur nicht enttäuschen.“
Für etwas internen Spott hat Ihre Ankündigung gesorgt, den Bundestag digitalisieren zu wollen. Hat das Parlament schlechtes WLAN?
Klöckner: „Ich habe sehr viel Zustimmung bekommen. Warum? Weil noch sehr viel Papier in Anspruch genommen wird. Wir könnten auch viel mehr ins Netz stellen. Und schauen Sie sich doch mal an, wo unsere Jugend ist, wo die Wählerinnen und Wähler von heute und morgen sind. Die allermeisten sind bei TikTok. Jetzt kann man TikTok als Plattform kritisch sehen, was ich tue. Aber diese Plattform ist zugelassen, wird von sehr vielen genutzt, um Meinungen zu beeinflussen. Und dann müssen wir auch dorthin gehen.“
Sollen Abgeordnete künftig nur noch einen Knopf drücken – und schon ist das Abstimmungsergebnis da?
Klöckner: „Es gibt die Überlegung, ob wir nicht digital abstimmen können und man in Echtzeit zum Beispiel im Plenarsaal – auch für den Zuschauer draußen – Abstimmungsergebnisse zeigen kann. Der Deutsche Bundestag ist zwar auch im Fokus von zahlreichen Hackerangriffen, da spielt Cyber-Sicherheit natürlich eine Rolle. Aber: Warum sollten wir uns nicht modernisieren, wenn es die ganze Welt um uns herum tut?“
Machen Sie sich Sorgen um die Debattenkultur im neu gewählten Bundestag? Die AfD-Fraktion ist so stark wie nie und für ihre Störer und Zwischenrufe berüchtigt. Ist das Ansehen des Parlaments und auch unserer Demokratie in Gefahr?
Klöckner: „Die Akzeptanz der Demokratie ist kein Selbstläufer, sie muss immer wieder erarbeitet werden. Nicht nur von Politikern, sondern von uns allen, die in einer Demokratie leben und sie auch genießen können. Und für uns im Parlament heißt das, dass wir Ort der gesellschaftlichen Debatte sind. Dass wir mitunter auch den Ton setzen, wie miteinander debattiert wird. Wir sind beispielgebend – positiv wie negativ – denn Debatten werden ja weitergeführt außerhalb des Plenarsaals. Aber: In früheren Zeiten hat es auch heftigste Debatten gegeben, die heute vielleicht ein bisschen nostalgisch betrachtet werden …“
… zum Beispiel?
Klöckner: „Na ja, wenn Sie sich Wehner oder Strauß anschauen, die waren ja schon ziemlich deftig. Aber alles ist auch seiner Zeit und den Umständen geschuldet. Was für heute gilt, ist, dass wir einander zuhören, dass die Meinung, die jemand anderes hat und die nicht meine ist, nicht automatisch extremistisch ist. Man muss Meinungen aushalten, solange sie sich im Rahmen der Verfassung bewegen. Aber: Der Ton macht die Musik. Und wenn es diffamierend, herabwürdigend wird, darf man sich nicht wundern, wenn so etwas im Parlament geschieht, dass es dann noch mal schlimmer in den digitalen Medien stattfindet.“
Sind Sie jetzt die neue Nanny der Abgeordneten?
Klöckner: „Erziehungsberechtigte oder Aufpasserin? Um Gotteswillen, das will ich nicht sein, das bin ich auch nicht, das sind erwachsene Menschen, die selbstverantwortlich sind – auch für die Zeichen, die sie selbst setzen. Ich werde aber darauf achten, dass wir die Haus- und Geschäftsordnung einhalten. Das ist keine Lappalie, die gilt für unser ganzes Haus.“
Jens Spahn hat eine große Debatte über den künftigen Umgang mit der AfD im Bundestag angestoßen. Er empfiehlt, die Rechtsaußen im Parlament so zu behandeln wie jede andere Oppositionspartei auch. Hat er Ihre Unterstützung als Parlamentspräsidentin?
Klöckner: „Die Fraktionen untereinander müssen sich absprechen, wie sie mit der AfD umgehen wollen. Für den gesamten Bundestag – für den ich spreche –, gilt die Geschäftsordnung. Also: Keine Fraktion, kein Abgeordneter wird vom Präsidium anders behandelt als andere. Es gibt klare Spielregeln, die alle kennen und an die man sich zu halten hat.“
Bald muss entschieden werden, ob die AfD als zweitstärkste Fraktion gemäß ihres Wahlergebnisses Ausschusschef-Posten zugeteilt bekommt.
Klöckner: „Das wird jetzt besprochen. Das ist jetzt Sache der Fraktionen. Und wenn die Fraktionen sich nicht einigen, wird das in den Ältestenrat gebracht. Und da werde ich vermitteln. Dem Ergebnis werde ich jetzt nicht vorgreifen.“
Kann es der zweitgrößten Fraktion im Bundestag zugemutet werden, dass sie in einem kleineren Saal tagen muss, als die deutlich geschrumpfte SPD?
Klöckner: „Über die Raumverteilung im Bundestag entscheidet der Ältestenrat. Der Ältestenrat setzt sich zusammen aus allen Fraktionen und dem Präsidium des Bundestages. Ich werde dort auch versuchen, zu vermitteln. Jetzt muss man sich vor Augen führen, die AfD und die SPD trennen wenige Prozente – also 32 Abgeordnete. Man muss auch sehen, dass die SPD, weil sie Regierungspartei sein wird, in den Fraktionssitzungen – anders als die AfD – auch Beamte, Bedienstete dabeihaben wird. Grundsätzlich sage ich, es gelten die gleichen Regeln für alle. Und am Ende entscheiden Mehrheiten. Aber die AfD muss auch angemessen tagen können.“
Der Bundeskanzler, Minister auf der Regierungsbank und die Abgeordneten tippen ständig auf ihrem Handy herum. Sollte es ein Handyverbot während der Debatten geben?
Klöckner: „Von Ihnen habe ich auch schon Nachrichten gekriegt während einer Debatte (lacht). Wenn ein Abgeordneter mehrere Stunden im Parlament sitzt, weil hintereinander auch Abstimmungen sind, muss er erreichbar sein. Es ist kein Theater, wo man in Rängen sitzt und dann einfach zuhört und still ist. Sondern es ist ein Arbeitsparlament.“
Im Bundestag sind Hunde verboten. Das dürfte Sie als Hundebesitzerin doch ganz besonders treffen?
Klöckner: „Ja, ich liebe Hunde und habe eine Labradoodle Ella, die vier Jahre alt wird. Aber meine eigene Vorliebe muss nicht automatisch die Vorliebe aller anderen sein. Es gibt viele, die auch Angst vor Hunden haben.“
Sie sind sehr gläubig und waren sogar mal Religionslehrerin. Wie verbringen Sie Ostern – und gehen Sie Ostersonntag und Ostermontag in die Kirche?
Klöckner: „Ich freue mich sehr auf den großen Osterbrunch, der in meinem Haus stattfindet, mit Familie und Freunden. Und ja, ich nehme an Ostern über die ganzen Tage an Gottesdiensten teil – und das gibt mir auch viel, und ich komme zur Ruhe. Für mich spielt der Glaube eine wichtige und Halt gebende Rolle. Mich hat immer der Leitspruch meines Vaters getragen: ‚Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand.‘“
Glauben Sie an die Wiederauferstehung?
Klöckner: „Ja, ich glaube daran, dass wir Menschen, unsere Seele, unsere Bestimmung über das hinausweist, was das Irdisch-Vergängliche ist, das, was uns weiterträgt. Wie das genau aussehen wird, das weiß ich nicht.“
Warum treten immer mehr Menschen aus den Kirchen aus?
Klöckner: „Ich glaube, es hat mit mehreren Punkten etwas zu tun. Mit steigendem Wohlstand lässt häufig auch eine Kirchenbindung nach. Dann der zweite Punkt: Es gibt auch Ersatzreligionen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch irgendetwas braucht, woran er glaubt. Eine weitere Erklärung ist sicherlich, dass Kirche nicht immer die Antworten gibt, die die Menschen gerade brauchen. Kirche ist auch nicht frei von Fehlern und Skandalen. Und wenn wir in die Corona-Zeit schauen – da hätte die Kirche vielleicht noch einen Tick mehr an Stabilität, mehr an Sinnstiftung und Seelenbegleitung geben können. Und ich glaube, an der einen oder anderen Stelle hat sie wirklich eine Chance verpasst.“
Was meinen Sie?
Klöckner: „Wenn Kirche manchmal zu beliebig wird, oder zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgibt wie eine NGO (Nicht-Regierungsorganisation, Anm. der Redaktion) und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick hat, dann wird sie leider auch austauschbar. Ich meine: Klar kann sich Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer. Gut, es ist ein freies Land, da kann man alles sicherlich tun und machen. Aber ich glaube, von Kirche erwartet man sich diese sinnhafte Begleitung, diese Antwort auf Fragen, die ich in meinem Alltag habe, vielleicht auch Trost und Stabilität.“