Der Wurm zu Babel

Der wichtigste Wurm der Welt ist gerade einmal einen Millimeter lang und soll uns unsterblich machen. Mit bürgerlichem Namen heißt er und ist ein sympathischer kleiner Kerl, der schon oft Erster war: Er war zum Beispiel das erste multizellulare Lebewesen, dessen Genom und neuronales Netz vollständig kartografiert wurden. Jetzt soll es weitergehen: Er soll das erste digitale Lebewesen werden! Vollständig hochgeladen in die Cloud, befreit von irdischen Trivialitäten, wie zum Beispiel Sterblichkeit. Und der Mensch soll natürlich einst folgen. hat also wie viele unsere technologischen Projekte heute besonders eines im Sinn: Gott mal wieder den Rang abzulaufen.

Der kleine Wurm weiß vermutlich nichts von seiner Rolle. Denn die wurde ihm gerade deshalb zuerkannt, weil er, salopp gesagt, ein bisschen doof ist: Er hat so wenige Neuronen, gerade einmal 302 Stück, dass Forscher der OpenWorm-Initiative hoffen, relativ einfach eine vollwertige digitale Kopie von ihm zu erstellen. Und schaffen wir es tatsächlich, den Wurm zu scannen und im Computer zu replizieren, könnten wir dasselbe einst für den Menschen machen – das wären zwar mehr Neuronen, aber dafür brauchen wir dann schlicht mehr Rechenpower, lautet die Logik des Projekts. Wir könnten dann Back-ups von unserem Bewusstsein kreieren, für den Fall, dass unser eigentlicher Körper mit all seiner lästigen Biologie irgendwann mal den Geist aufgibt, soll ja gelegentlich passieren. In der Cloud könnten wir ewig leben oder unser Bewusstsein in Roboter speisen, so oder so würden wir dem Tod ein Schnippchen schlagen.

Motivation hat OpenWorm zwar reichlich, Erfolg weniger. Seit 14 Jahren versuchen sie erfolglos, eine digitale Kopie von zu erstellen. Doch selbst 302 Neuronen erzeugen ein so komplexes Verschaltungsspiel, dass es bislang schlicht nicht zu knacken war – ein fader Vorgeschmack darauf, was es bedeuten würde, die 86 Milliarden Neuronen des Menschen digital zu simulieren.  

Doch, Hand aufs Herz – oder eben auf den Schaltkreis –, selbst wenn uns das gelingt: Wären wir als Cloudmenschen denn noch immer menschlich? Wir wären körperlos, ohne unsere menschlichen, allzu-menschlichen Beschränkungen wie Hunger, Schmerz oder Tod. Wären wir dann mehr oder weniger als ein Mensch, wären wir Tier oder wären wir Gott?

Pilgerrouten durch den Computer

Bitte nicht falsch verstehen. All das ist kein rhetorischer Taschenspielertrick eines neidischen Geisteswissenschaftlers, um den heute weltlich so viel wirksameren Computerwissenschaften einen verkappten Spiritualismus unterzuschieben. Hier soll darauf verwiesen werden, dass viele der technologischen Ziele und Visionen des Westens in der Moderne eben nicht ex nihilo auftraten – sondern langgehegte religiöse Fantasien sind, übersetzt in eine mechanische Sprache aus Sprungfedern und Zahnrädern, Siliziumchips und Computercode.

Gerade Computer sind von religiösen Idealen durchtränkt. Die Cyberpunk-Science-Fiction der Achtziger und Neunziger hievte damals den christlichen Dualismus zwischen göttlicher Seele und sündigem Fleisch mit all seinen Implikationen ins Datenzeitalter – darunter auch die Idee, dass beide getrennt voneinander existieren können: Fuhr die Seele einst in den Himmel und ließ die sterblichen Überreste zurück, löste sie sich nun von Leib und der biologischen Trägheit des „Meatspace“, um in die entkörperten Informationswelten des Cyberspace mit ihren übermenschlichen Möglichkeiten zu reisen. Es war wie die Rückkehr zu jener adamischen Perfektion, die uns einst nach der Sache mit dem Apfel verloren ging. Doch jetzt führte die Pilgerroute dahin nicht länger durch die Institution der Kirche, durch Beichtstühle oder Ablassbriefe, sondern durch Platinen und Schaltkreise digitaler Technologie.

Doch zurück zum , dem ersten Computerwurm, der den Namen wirklich verdient hätte. Er soll als erstes Wesen auffahren in den Himmel, also die Cloud, und dort ewig leben zur Rechten Gottes, das wären dann vermutlich wir – oder doch er selbst? Der Physiker Stephen Hawking, der Mind-Uploading ebenfalls für möglich hielt, legte einmal in einem Interview eine (fiktive) Anekdote dar: „Wissenschaftler bauten einen intelligenten Computer. Die erste Frage, die sie ihm stellten, war: ‚Gibt es einen Gott?‘ Der Computer antwortete: ‚Jetzt schon.'“

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