Der ultimative Vergleichstest

Worum geht’s überhaupt?

Die Ringe der Macht: Um Ringe und Macht, sagt ja schon der Titel. Wir
sind in Mittelerde, die tapfere Elbenkriegerin Galadriel kämpft gegen
den bösen Sauron. Den kennt selbst der fantasyfaulste Zuschauer als den
„Herrn der Ringe“. Die Serie erzählt, wie Sauron einst zum Ringherrn
wurde: Er muss verfluchte Ringe herstellen und sie heimlich den
Entscheidungsträgern aus Mittelerde andrehen, so gewinnt er Macht über
sie. Analogie für die Außenpolitik-Freaks unter unseren Lesern: Die
Ringe spielen hier eine ähnliche Rolle wie billiges Erdgas für Putins
Machtanspruch. Oder wenn man einen günstigen Drucker kauft, aber dann
zahlt man immer die teuren Patronen, damit machen die nämlich eigentlich
ihr Geld.

House of the Dragon: Um Drachen und ein Haus, sagt ja schon der Titel. Auf
dem Fantasie-Kontinent Westeros gibt es nämlich wieder
Thronfolgeschwierigkeiten: Das Adelshaus der Targaryens streitet
darüber, wer sich zum König krönen lassen darf. Auf der einen Seite
steht die Bewerberin Rhaenyra, auf der anderen Seite ihr Halbbruder
Aegon; jeder von ihnen verfügt über ein Arsenal feuerspuckender Drachen
unterschiedlicher Größe. Zahlreiche Beteiligte und Unbeteiligte kommen
zu Schaden, der Sachschaden geht in die Millionenhöhe, die Rügenwalder
Mühle brennt ab. Mit den Aufräumarbeiten sind noch die nachfolgenden
Generationen beschäftigt, siehe die Serie

Wertung: Punkt für , wir wollten schon immer mehr über diesen Sauron wissen. Wie
tickt er privat? Ist er noch Single? Wen wählt er bei der sächsischen
Landtagswahl?

Die Buchvorlage

Die Ringe der Macht: Der sympathische Buchhandelsgigant Amazon konnte die Rechte erwerben für, Achtung, die Anhänge der Bücher, also die Seiten ganz hinten, wo noch so ein bisschen was über Mittelerde erklärt wird. Was man dem Konzern nicht verkauft hat: die Rechte am dem dicken, unvergleichbaren Buch, in dem J. R. R. Tolkien die Komplettgeschichte seiner Welt erzählt. Für jemanden wie Jeff Bezos (geschätztes Vermögen: fünfzehn Fantastilliarden) eine herbe Enttäuschung, hoffentlich kommt er drüber hinweg, während er mit seiner Luxusjacht andockt an seine andere, noch größere Luxusjacht.

House of the Dragon: Kennen Sie das, wenn Sie eigentlich Ihre Steuer machen müssten, aber stattdessen putzen Sie die Fenster? Oder wenn Sie eigentlich eine Fantasy-Megabestseller-Reihe fertig schreiben müssen, aber stattdessen schreiben Sie ein anderes Buch? Alle warten auf den Roman der die Saga weiterführen soll; aber statt ihn fertig zu schreiben, hat der 75-jährige Amerikaner George R. R. Martin zwischendurch lieber was anderes geschrieben, nämlich einen historischen Abriss der Schand- und Großtaten des fiktiven Hauses Targaryen. Daraus hat HBO dann diese Serie gemacht.

Wertung: Punkt für , denn wir prokrastinieren ja auch so gern

Berühmte Fans

Die Ringe der Macht: Zu den Mittelerde-Fans gehören unter anderem Christian Lindner, Giorgia Meloni, Stephen Colbert, Peter Thiel und J. D. Vance.

House of the Dragon: Zu den Westeros-Fans gehören unter anderem Barack Obama, Ed Sheeran, David Beckham, Xi Jinping und natürlich Markus Söder.

Wertung: Punkt für , weil Thiel und Vance sogar ihre Firmen
nach Zauberdingen benannt haben, die auch in der Serie wichtig werden:
der Stein „Palantir“ und der Ring „Narya“

So sieht die typische Szene aus

Die Ringe der Macht: Wanderer durchstreifen grüne Auen, dann karge Felswüsten, schließlich
machen sie Mittagspause. Als man gerade in die Butterbrote beißen will,
greifen Orks an. O Schreck! Anderswo reiten währenddessen Elben unter
einem Wasserfall hindurch.

House of the Dragon: Eine Frau spricht mit einem Mann über die Feinheiten feudalistischer Familienpolitik, im Hintergrund flackern Kerzen in elaboriert gearbeiteten Kronleuchtern. Dann wird ein Kleinkind am Burgturm aufgeknüpft. Irgendwo flattert ein Drache herum.

Wertung: Punkt für , wir würden auch gern zurück in den
Wanderurlaub, zwei Wochen Südschweden, zusammen mit Meike und Ferdinand,
war echt schön, nächstes Jahr mieten wir uns ein Wohnmobil

Die ausgedachten Sprachen

Die Ringe der Macht: Tolkien hat gleich zwei Elbensprachen erdacht. Die Sprache der Grauelben, das Sindarin, ist vom Walisischen inspiriert; die Noldor- und Vanyar-Elben hingegen sprechen Quenya, hier war das Finnische ein Einfluss … Hey, warum laufen Sie weg? Mein Vortrag war noch nicht zu Ende! Ich habe noch einen ganzen Linux-Computer mit interessanten Anmerkungen!

House of the Dragon: Die Drachenreiter sprechen das sogenannte Hochvalyrisch, es reicht
allerdings, wenn man als Zuschauer ein einziges Wort kennt, „Dracarys“.
Heißt so viel wie „angrillen“.

Wertung: Ein Fleißpunkt für die Streber von

Die Bösen

Die Ringe der Macht: Bei Tolkien war das mit den Bösen und den Lieben noch klar strukturiert, die Welt war noch in Ordnung, oder sie war es eben gerade nicht, wenn aus Mordor mal wieder die Schatten aufzogen. Bei Amazon ist das jetzt komplizierter: Adar, selbst ernannter „Vater der Orks“, war einst Saurons rechte Hand; er versteht sich jetzt aber mehr als ein postkolonialer Freiheitskämpfer, der eine Heimat für seine Kinder erstreiten will. Mit Sauron, seinem ehemaligen Abteilungsleiter im Reich des Bösen, will er nichts mehr zu tun haben. Auch Sauron selbst wälzt die Verantwortung ab: Es sei sein Vorgesetzter Morgoth gewesen, der ihn zu Schandtaten gedrängelt habe. Mal wieder typisch: Schuld haben immer die da oben!

House of the Dragon: In den Welten des George R. R. Martin ist das mit Gut und Böse nie so leicht gewesen, hier kommt erst das Fressen, dann das Saufen, dann das Herumhuren, dann noch mal das Fressen und dann, wenn noch Zeit ist, vielleicht noch irgendeine Moral; vielleicht aber auch nicht. Auch in kämpfen nicht die Bösen gegen die Guten, sondern Verwandte gegeneinander. Konsequenterweise nennt die Westeros-Geschichtsschreibung sie dann nur bei ihren Wappenfarben, die Roten gegen die Grünen. Achtung, jetzt ein politischer Kabarettwitz, halten Sie sich fest an der Bestuhlung der Mehrzweckhalle: Rote und Grüne bekämpfen sich bis aufs Blut? Das ist ja wie in der Ampelregierung!

Wertung: Punkt für , weil wir uns in Deutschland damit auskennen, wenn’s am Ende keiner gewesen sein will

Alter der Hauptfigur

Die Ringe der Macht: Mindestens 1.228 Jahre

House of the Dragon: Anfang/Mitte 30

Wertung: Punkt für , wir wollen uns nicht auch noch Ageism vorwerfen lassen

Diversity

Die Ringe der Macht: Diversität gibt es bei Tolkien natürlich reichlich, es gibt Orks, Elben, Zwerge, Menschen, Trolle, laufende Bäume, Hobbits und Zauberer, die eigentlich „Istari“ heißen, worauf wir an dieser Stelle aber bitte nicht eingehen. Ist nämlich auch egal – entscheidend ist hier natürlich die Diversität der Schauspieler. Und da haben sich die Macher viel Mühe gegeben, es gibt weiße, schwarze, asiatische und sogar walisische Menschen, die mitspielen. Und erwähnenswert ist das nur, weil sich einige sehr engagierte -Fans im Internet darüber erregt haben: Die diverse Besetzung sei nicht nur eine Form der politischen Propaganda, sondern auch eine VERGEWALTIGUNG von Tolkiens Werk, das ja immerhin von nordischen Mythen inspiriert sei. Außerdem seien die Zwergenfrauen nicht korrekt dargestellt: Die tragen bei Tolkien traditionell dichte Bärte; bei Amazon hat man die Frauenbärte weggelassen.

House of the Dragon: Hier sind es die Adeligen aus dem Haus Velaryon, die alle deutlich dunklere Haut haben als der Rest der Menschen in Westeros – wobei sie die schicken wasserstoffblonden Haare mit ihren Verwandten, den Targaryens, teilen. Warum die Velaryons anders aussehen, wird nicht erklärt. Dafür wird aber, anders als bei den schwarzen Elben aus den der Umstand, dass sie anders aussehen, tatsächlich thematisiert. Und zwar auf ziemlich interessante Weise: Wenn sich die Familien skeptisch über das neu geborene Baby beugen, das der Velaryon-Erbfolger mit der Targaryen-Königstochter gezeugt haben soll, dann fragen sich die Onkel und Tanten, ob die allzu helle Hautfarbe des Kindes nicht darauf schließen lässt, dass sich die Königstochter anderweitig vergnügt hat. Mit dem gut aussehenden weißen Kommandanten ihrer Privatgarde zum Beispiel. So geht Diversität!

Wertung: Ein Punkt für . Wo Zwergenfrauen keine Bärte mehr
tragen, da ist auch für uns der Untergang des Abendlandes nicht mehr
weit

Und was mit Sex?

Die Ringe der Macht: Bäh, solche Ferkeleien gibt es beim frommen Katholiken Tolkien nicht. Ihm ist das Erschaffen wichtiger als das Zeugen. Ilúvatar erschuf die Elben, der böse Morgoth erschuf die Orks und so weiter. Zwar kriegen diese Wesen dann Kinder, in der Serie sieht man sogar niedliche Ork-Babys; es muss also gelegentlich auch zu Sex kommen in Mittelerde. Aber das bleibt unausgesprochen, wie jegliche Erotik zwischen Elben, Zwergen, Hobbits und ihren Gärtnern. Also: Hände über der Bettdecke lassen, sonst weint das Jesuskind!

House of the Dragon: Wie sollen wir es formulieren? Auch in der zweiten Staffel wird ordentlich was weggebumst. Man könnte glatt glauben, der Sex wäre hier reiner pornografischer Selbstzweck. Ist er aber natürlich nicht! Denn in der Erbmonarchie von ist das Erzeugen von Erben (oder Bastarden mit Erbanspruch) ganz schön harte Arbeit. Auch weil die Kindersterblichkeitsrate in Westeros hoch ist, was wieder mehr Sex notwendig macht.

Wertung: Punkt für , denn keinen Sex haben Fantasy-Fans
privat ja schon. Ja, sorry, wir machen hier auch die naheliegenden Gags

Der Testsieger

Kann man Kunstwerke wirklich in Punkten vermessen? Was ist Fantasy
anderes als ein Aufbegehren gegen die verwaltete, quantifizierte Welt?
Wir unterwerfen uns nicht dem Diktat der nackten Zahlen, wir wollen die
Wiederverzauberung der Moderne! Gewonnen hat aber trotzdem mit sechs Punkten. Die zweite Staffel ist jetzt bei Amazon zu sehen, in Deutschland bei Sky.

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