Der Schornstein, der die Welt bedeutet

Schwarzer Rauch gestern, weißer Rauch heute? Wie kann nur ein schmales Schornsteinrohr die Augen der Welt derart in Bann schlagen? Wenn man in diesen Tagen mitten auf dem Petersplatz steht, die Augen zusammenkneift und nach oben zum Dach der Sixtinischen Kapelle blinzelt, kann man dieser Faszination schwer entrinnen: Das ist nur in Rom möglich, so etwas gelingt bloß im Vatikan, diesem Miniaturwunderland. Wie schaffen sie das nur, dieses Ereignis so zu inszenieren, das Konklave heißt?

Rom, die Ewige Stadt, ist in den Stunden und Tagen vor dem weißen Rauch ein geheimnisvoller, ein einzigartiger Schmelztiegel des Erhabenen und des Profanen, des schier Unglaublichen und des nur allzu Wahrscheinlichen.

Aber die gute Nachricht aus dem Konklave vorab: Mit Michelangelo ist alles okay. Dank der Livebilder des Vatikans vom Einzug der 133 Kardinäle am Mittwoch in die Sixtinische Kapelle konnte jeder Mensch sehen: alles paletti dort. Michelangelos Jüngstes Gericht ziert die Sixtinische Kapelle schon seit ein paar Hundert Jahren, und auch sonst ist die aktuelle Ausstattung mit Stühlen, Tischen, Hausaltar sagenhaft feierlich und farbenfroh. „Raus alle!“ waren die letzten Worte, die Vatikan-TV übertrug, und damit es feierlicher klingt, gab es sie auf Latein zu hören: „Extra omnes!“ Dann rumsten die beiden schweren Türflügel zu, Ende der Übertragung vom aktuell geheimsten Ort auf Erden.

Set Design, das können sie einfach im Vatikan, für den Beweis brauchte es nicht erst die Oscar-Premiere des Films . Doch – Halt – war da nicht was? Was hat es mit diesen Stühlen auf sich, die dort dauernd im Bild waren, für jeden der Kardinäle einer: Waren die nicht neulich schon einmal zu sehen gewesen?

Messinggold und Polstersamt, runde Lehne, stabiler Sitz – kein Zweifel: Genau solche Stühle wie die, auf denen die Männer Platz genommen haben, die heute, morgen oder übermorgen der Welt und ihrer Kirche einen neuen Papst bescheren wollen, haben gerade noch Weltpolitik auf einer verwandten Bühne gespielt.

Keine 14 Tage ist es her, dass im Petersdom neben der Sixtinischen Kapelle Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj sich zwei ebensolcher Stühle heranzogen – und jenes Bild entstand, das um die Welt ging: Wurde hier, am Rande der Beisetzung des alten Papstes, gerade ein Durchbruch im Ukrainekrieg erzielt, auf Polstersamt und Messinggold? Die Frage blieb offen, das Bild bleibt haften.

In der Vatikan- und Asterix-Sprache Latein

Einen Mangel an Mobiliar haben selbst seine ärgsten Feinde dem Vatikan noch nie unterstellt. Und so erzählt die Geschichte vom gleichen Stühlestapel für zweierlei durchaus verschiedene Ereignisse auch einiges von der Sonderwelt wie Sonderstellung, die dieser Miniaturstaat namens Vatikan gerade auf der Weltbühne spielt: Eben noch ging es um den Weltfrieden, jetzt um die Wahl eines neuen Weltgewissens – jeweils cum grano salis, wie es in der Vatikan- und Asterix-Sprache Latein heißt, mit einer Prise Salz, also nicht ganz wörtlich zu nehmen.

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