Der Schneider und die Schulterklappen

Ein Mann war politisch rechts; das kommt hin und wieder vor. Anfangs nahm es keiner ernst, auch er selbst nicht. Aber dann trug er auf einmal eine Uniform mit Schulterklappen. Die Schulterklappen zeigten ein diffiziles Flechtwerk, worin schwarze und silberne Linien einander umranken, Schlaufen bilden und ineinandergreifen, sodass bald diese, bald jene sich über die andere legt, dominiert, triumphiert, dieses Flechtwerk also umspielt eine Raute, deren Rahmen außen tarngrün, innen mit Goldfäden gestickt ist; innerhalb der Raute flankieren zwei gekreuzte Waffenpaare, und zwar je eine kalte und eine Feuerwaffe, das im Zentrum der Raute platzierte Rutenbündel, mittig zusammengeschnürt von einem Band, worauf frontal eine Art Schnalle dargestellt ist mit einer zwar winzigen, aber dennoch in ihrem raumgreifenden Starren die gesamte Schulterklappe beherrschenden Fratze, die Augen aus scharlachroten Strasskristallen.

Das alles nahm, wie gesagt, anfangs niemand ernst. Wer aber in die Augen der Fratze geblickt hatte, wusste ein für allemal, wie es um die Sache bestellt war.

Und wer schon einmal hineingeblickt hatte, war der Schneider, denn er sollte dem Mann eine der Schulterklappen wieder annähen, nachdem sie offenbar einen Versuch unternommen hatte, ihren Dienst zu quittieren. Der Schneider hatte in die roten Augen hineingesehen und hatte alles verstanden und bei sich gedacht: „Für den Mann will ich keinen Auftrag verrichten, aber der Mann ist gefährlich, und ändern kann ich ihn nicht, denn aller Widerspruch wird dem Sturen zum Anreiz, aller Widerstand zum Grund seines Trotzes.“

Also sagte er zu dem Mann: „Hör, Mann, ich habe keinen passenden Faden mehr, ich kann dir nicht helfen, so gern ich es wollte.“ Der Mann, ahnend, dass man ihn nicht hatte bedienen wollen, ging still zu einem anderen Schneider, aber, nach Jahr und Tag stärker, unbändiger geworden, kam er wieder, schlug die Vitrinen des Geschäfts ein, rollte alle Fäden aus, die der Schneider besaß, und zerriss seine feinsten Stoffe und plünderte seine Kasse.

Vielleicht aber trug es sich gar nicht so zu, wie ich berichtet habe, sondern ganz anders; vielleicht war der Schneider klüger gewesen und hatte verstanden, dass man etwas tun müsse. „Man muss etwas tun“, dachte er bei sich, „und darf nicht säumen, denn alles Säumen wird dem Werden zum Vorteil.“

Also sagte er zu dem Mann: „Hör, Mann, ich habe hier einen Gehrock, eine Serenade von Gehrock, feinstes Leinen, Borten von Samt, kobaltblaue Perlmuttknöpfe; den schenke ich dir, und noch diesen Hut nimm dazu, aber deine Uniform mit den Schulterklappen werfe ich weg.“ Der Mann freute sich, dankte höflich und ging seines Wegs, bis er nach Jahr und Tag zurückkam, wieder in Uniform, aber er war nicht mehr nur einer, sondern es waren seiner drei oder mehr, die schoben ihre Fäuste in des Schneiders Kiefer, dass dieser zerbarst, und schändeten seine Frau und jagten seine Kinder, weil der Schneider damals versucht hatte, den Mann von seinen heiligsten Vorsätzen abzubringen.

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