Es steckt schon Musik drin, wenn Friedrich Merz auftritt. Wann immer er markig-hohle Chefweisheiten von sich gibt, über „kleine Paschas“ schimpft oder von den „FRAUEN“ spricht, die ihn partout nicht wählen wollen, dann meint man, die Es-Moll-Seufzer eines Klaviers zu hören: die Erkennungsmelodie von . Jene für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich lustige Serie also, in der Christoph Maria Herbst als Büroleiter Bernd Stromberg das schier unerschöpfliche Peinlichkeitspotenzial unbeholfener Vorgesetzter auskostet. Und genau so ein mehr oder weniger ungelenker Chef könnte – das wurde einem gestern wieder während des Auftritts des CDU-Vorsitzenden bei Caren Miosga klar – nächstes Jahr die deutschen Regierungsgeschäfte übernehmen. Oder, wie sowohl Stromberg als auch Merz es wohl sagen würden: den Laden schmeißen.
Knapp neun Monate ist die letzte Begegnung von Merz und Miosga her, damals war er Premierengast ihrer Sendung. In der Zwischenzeit hat sich so ziemlich alles verändert: Merz ist jetzt nicht mehr bloßer Favorit, sondern tatsächlicher Kanzlerkandidat seiner Partei; seine Versöhnung mit Angela Merkel wurde auf deren 70. Geburtstagsfeier eingeleitet; die ostdeutschen Landtagswahlen sind weitestgehend glimpflich für die CDU ausgegangen; und die Ampelkoalition hat es irgendwie geschafft, sich in eine noch misslichere Lage zu manövrieren, als sie es ohnehin schon war. Kurz: Der Machtanspruch von Merz ist längst nicht mehr Ansichtssache.
Miosga befragt ihn also in dem Bewusstsein, wahrscheinlich den nächsten Bundeskanzler vor sich zu haben. Sie trägt dieser Tatsache Rechnung, indem sie ihren gesamten einstündigen Sendeblock für Merz freiräumt, anstatt wie sonst üblich nach der Hälfte der Zeit weitere Gäste hinzuzubitten. Das ändert die Dynamik ihres Formats von einer Debattenschau zu einem Zweikampf. Und es stellt Miosga vor zwei Probleme. Zum einen muss sie Merz im doppelten Konjunktiv befragen: Wie würde er Probleme angehen, wenn er Kanzler wäre? Zum anderen muss sie ein Duell mit einem Politiker führen, der sich in seiner -Art schon so oft um Kopf und Kragen geredet hat, dass kaum Fettnäpfchen verbleiben, in die man ihn noch locken könnte.
Man darf gleich vorwegnehmen: Miosga gelingt es nicht, ihm eine einzige Peinlichkeit abzuringen. Ganz im Gegenteil: Selten hat Merz so souverän und zugewandt gewirkt wie an diesem Abend.
Anfangs tritt er noch sichtlich angespannt auf, offenbar darauf gefasst, in die Mangel genommen zu werden. Und tatsächlich befragt Miosga Merz schnell zu dem Thema, an dem sich die frisch geordnete CDU noch zerzausen könnte: der Ukrainekrieg. Bei der Frage nach der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern legt er sich überraschenderweise fest: Sollte Russland das flächendeckende Bombardement der Ukraine fortsetzen, würde er die deutschen Raketen an Selenskyj liefern. „Und dann hat Putin es in der Hand, wie weit er diesen Krieg noch weiter eskalieren will“ – so ein breitbeiniger Satz ist natürlich leicht gesagt, wenn man noch nicht das politische Amt innehat, ihn zu verwirklichen. Gut klingt er trotzdem.
Auch auf die Frage, wie weit man bei Koalitionsverhandlung mit dem BSW zu gehen bereit sei, antwortet Merz entschieden, dass man eine gewisse Grenze nicht zu überschreiten bereit sei. Allein, wo diese Grenze genau verläuft, erklärt er nicht. Stattdessen bekommt man Floskeln („Diplomatie ist ein Gemeingut“), rhetorische Gegenfragen („Wer ist schon gegen Friedensverhandlungen?“) und Kampfansagen („Wir lassen uns von Frau Wagenknecht nicht am Nasenring durch die Manege ziehen.“) zu hören; Merz darf außerdem einen seiner Lieblingssätze bringen, man dürfe sich nicht zu „Liebedienern Russlands“ machen. Miosga gibt sich damit zufrieden, als Zuschauer hätte man allerdings gerne erfahren, wie weit sich die CDU und das BSW hinter dem Blickschutz dieser Phrasen inzwischen angenähert haben.
Einzig der Piccolo fehlt
Dann aber passiert etwas völlig Unvorhergesehenes: Die Stimmung im Studio – das aufgrund seiner Wohnlichkeit ohnehin eine gewisse Sitcom-Atmosphäre verströmt – wird heiter. Miosga geht mit einer schnellen Abfolge „unverschämter Fragen“ auf Merz los, und der reagiert größtenteils schlagfertig, ja, witzig. Gefragt, ob er andere Autofahrer in Rage eher mit Tieren oder intimen Körperteilen vergleiche, kontert Merz mit einem trockenen „Sagen sie mal ein paar Beispiele“. Und das ist derart gut getimt und klar gesprochen, dass auf einmal Gelächter losbricht – erst recht, als sich Merz und Miosga auf „Hornochse“ als angemessene Beleidigung im Straßenverkehr einigen. Alsbald folgen noch so Neuigkeiten wie das Geständnis von Merz, dass seine Enkeltöchter ihm schon mal die Nägel lackiert haben. Die Atmosphäre ist seltsam gelöst, jede Sekunde rechnet man damit, dass jemand einen Piccolo ploppen lässt. Und zumindest in der CDU-Zentrale werden die Korken garantiert geknallt haben, denn schon auf der Halbzeit steht nach diesen Fragen fest, dass Merz als Gewinner vom Platz gehen wird.
Das Publikum klingt während dieses Schlagabtauschs so, als sei es selbst ein wenig verwirrt, dass bei ihm gerade der Humor von Friedrich Merz zündet. Denn eigentlich ist er ja ein ungeliebter Politiker, mit dieser statistischen Tatsache konfrontiert ihn auch Miosga: Nur wenige Prozentpunkte liegt er bei den Beliebtheitswerten vor Olaf Scholz und Robert Habeck, die gerade die wohl unpopulärste Regierung der bundesrepublikanischen Geschichte anführen. Wie kann es sein, dass so jemand Lacher bekommt? Kichert man jetzt über die Witze von Merz? Oder über die Witzfigur Merz? Aber das ist gerade die -Magie: Nie weiß man so recht, ob man nun über oder mit ihm lacht. Merz verfügt über keine gewöhnliche Aura – in Hollywood wäre er nicht , sondern eher:
Diese Aura speist sich unter anderem aus seiner beruhigenden Durchschaubarkeit. Stets meint man zu erkennen, was in Merz gerade vorgeht – als er beispielsweise Anfang des Jahres immer wieder nach seiner Kanzlerkandidatur befragt wurde, wich er zwar stets aus, seine geweiteten Augen jedoch schienen fast zu schreien: „ICH WILL!“. Das unterscheidet ihn von der politischen Leitkultur der vergangenen zwanzig Jahre. Sowohl Merkel als auch Scholz stehen ja für einen Kult der Undurchschaubarkeit. Merkels gesamte politische Karriere fußte auf ihrer unvorhersehbaren Entscheidungsfindung; Scholz bemüht sich, durch Kommunikationsverweigerung möglichst geheimnisvoll zu wirken. Und tatsächlich weiß man als Bürger dieses Landes nur selten, was der Kanzler so denkt. Doch wo Merkel enigmatisch ist, beschleicht einem bei Scholz der Verdacht, dass er selbst nicht so recht aus sich schlau wird. Merkel war opak, Scholz ist trüb.
Merz hingegen wirkt klar, geradezu schlicht. Das ist sein performativer Wertkonservatismus: Merz steht für die urdeutsche Tugend der Unraffinesse; er verströmt die beruhigende Gewissheit, sich wohl kaum nach oben charmiert, sondern unelegant geschuftet zu haben. Bei Miosga erkennt man an diesem Abend, wie viele Sympathien er derart noch im Laufe des Bundestagswahlkampfs wird gewinnen können.
Die Moderatorin schafft es indes nicht, in diese wohlwollende Stimmung genügend kritische Zwischentöne zu bringen. Dabei ist es ja nun wirklich nicht so, als wäre Merz unangreifbar. Regelmäßig hat er sich in der Vergangenheit dazu hinreißen lassen, Unwahrheiten vor sich hin zu poltern – insbesondere, wenn es um die deutsche Migrationspolitik geht. Das sind Gelegenheiten, in denen man ihn stellen kann. Doch Miosga stellt an diesem Abend praktisch keine einwanderungspolitischen Fragen. Und auch von Merz vorgetragene Zahlen wie die 90 Prozent deutscher Frauen, die angeblich Angst haben, nachts auf die Straße zu gehen, werden von ihr weder eingeordnet noch hinterfragt. Das ist ärgerlich.
Vielleicht wird Miosga Merz beim nächsten Aufeinandertreffen unbequemere Fragen stellen. Vielleicht wird sie beharrlicher sein. Oder es wird nur eine weitere lustige Sitcomfolge auf dem Weg zum großen Merz-Staffelfinale: der Kanzlerschaft.