Wäre die Lage nicht so ernst – Horst Seehofer (CSU) könnte sich eigentlich freuen, weil er Recht behalten hat. Er war der einzige mit Rang und Namen in der deutschen Politik, der schon 2015 gefordert hatte, illegale Migranten an der Grenze zurückzuweisen.
▶︎„Vom ersten Tag an!“ – diese Feststellung ist ihm wichtig, als er BILD in seinem frühlingssonnenhellen Haus in Ingolstadt (Bayern) zum Besuch empfängt. Seehofer bittet die Reporter zu Kaffee und Apfelkuchen, zieht Bilanz – und rechnet in aller Seelenruhe ab.
Damals, er erinnert sich noch genau, gab es ja viel Kritik an seiner harten Haltung in der Asyl-Frage. Auch in der CDU – allen voran von Angela Merkel (70, CDU). Das war, als die Flüchtlingskrise das Land gerade erst zu erschüttern begann. Seehofer war Bayerns Ministerpräsident – und Merkel CDU-Chefin und Kanzlerin.
Später, als Bundesinnenminister (ab 2018), konnte Seehofer Merkel dann auch nicht davon überzeugen, zumindest eine echte Obergrenze für Flüchtlinge zu ziehen. Die Sache wurde zum erbitterten Dauer-Streit. Ohne Versöhnung. Beide sprechen kein Wort mehr miteinander.
„Das ist die Belastungsobergrenze“
Für Seehofer gilt: „Deutschland hat immer Probleme bekommen, wenn mehr als 200.000 Flüchtlinge innerhalb eines Jahres hierherkamen. Das ist die Belastungsobergrenze, wie sich gezeigt hat.“ Wenn Merkel auf ihn gehört hätte – das Land wäre heute ein anderes.
Jetzt aber droht die noch immer nicht gelöste Krise sogar die neue Regierung zu spalten, die zum Zeitpunkt des Interviews im 512 Kilometer Fahrstrecke entfernten Berlin sondiert. Und im Kern dreht sich der Streit erneut um Zurückweisungen, die Merkels Nachfolger Friedrich Merz (69, CDU) nun gegen die SPD durchgesetzt hat.
Dass bei den Sondierungen nicht zuerst über wichtige Themen wie Migration gesprochen wurde, sondern stattdessen übers Schuldenmachen? Für Seehofer ein fataler Anfängerfehler: „Normalerweise beginnt man Koalitionsverhandlungen mit der Klärung der Sachfragen.“
„Wortbruch“-Vorwurf an Union
Für Seehofer hat sich die Union in der Finanzierungsfrage des „Wortbruchs“ schuldig gemacht. Sein Vorwurf: Die „1000 Milliarden Euro neue Schulden“ stimmten „mit dem von uns versprochenen glaubwürdigen Politikwechsel nicht überein“. Das sei „schmerzlich“ und „das Gegenteil dessen, was wir vor der Wahl gesagt haben“.
Merz bitteres Fazit: „Offenbar mussten SPD und Grüne die Wahl verlieren, um am Ende das zu bekommen, was sie schon immer haben wollten.“
Seehofer warnt: „Eine so hohe Verschuldung ist immer ein Risiko. Für die wirtschaftliche Stabilität und für die Inflationsrate. Die kleinen Leute zahlen es am Ende. Verschuldung ist unsozial.“
Immerhin ein Kompromiss bei Zuwanderung
Seehofer war gerade CSU-Chef geworden, als 2009 die Schuldenbremse eingeführt wurde, die sie in Berlin faktisch ad acta legen. Damals sei sie die Antwort auf die größte Wirtschaftskrise gewesen, die es je gegeben hatte.
▶︎„Ich wollte es erst gar nicht glauben, als ich in den Nachrichten gehört habe, dass sie nun aufgegeben werden soll“, sagt er. „Wenn wir aus dem gigantischen Steueraufkommen, das wir ja haben, unsere Zukunft nicht mehr finanzieren können, dann läuft etwas falsch.“
1000 Milliarden Euro Schulden, aber immerhin eine Vorverständigung bei der Zuwanderung.
Seehofer zitiert dazu ein altes Merkel-Wort, das später der AfD zu ihrem Namen verhalf. Es sei „alternativlos“, „dass wir in den Kernthemen, die uns wichtig sind, nachvollziehbare Neuanfänge durchsetzen – allen voran auf den Mega-Feldern Migration, Bürgergeld, Bürokratieabbau und Kürzungen der öffentlichen Haushalte“. Nur dann lasse sich von einem Politikwechsel sprechen, „nur dann ist die verabredete hohe Verschuldung überhaupt vertretbar“.
Seehofer kritisiert Söder
Seehofer kritisiert auch die Wahlergebnisse der Union insgesamt und der CSU. „Markus Söder ist jetzt seit sieben Jahren Parteivorsitzender. In dieser Zeit gab es zwei Landtags- und zwei Bundestagswahlen. Alle vier Wahlen gehören zu den schlechtesten in der Geschichte der CSU.“
Seehofer ist besorgt, weil die AfD nun auf Sichtweite zur Union herangekommen ist. „Im Sport würde man sagen: auf Schlagdistanz.“ Mit „Bierzeltreden“ lasse sich das nicht verhindern.
Und Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er nicht noch einen Ratschlag an die zukünftigen Koalitionäre hätte: „Ich habe drei GroKos miterlebt. Am Anfang war die Euphorie meist groß und am Schluss waren alle froh, dass es zu Ende war.“ Seehofer lacht und schaut in seinen Garten. Die ersten Krokusse blühen schon.