Wrestling schreibt viele Tragödien. Nicht alle entstammen den grellen Storylines, den glänzend geölten Illusionen von Zwist, Rache und Verrat und der muskulösen Travestie von Gut, Böse und ewigem Kampf. Manche dieser Tragödien sind real, man liest sie bisweilen in der Zeitung, Abteilung Vermischtes, weil einer dieser Extremtheatergestalten plötzlich für immer liegen geblieben ist, oft noch jung, wegen der Stürze, der Schmerzen und der Drogen, die gegen den Körper nicht mehr halfen, so wenig wie die unverwundbaren Ringheldennamen, die man ihnen gegeben hatte: Ultimate Warrior, British Bulldog, Macho Man, Texas Tornado. So was.
Zur Tragödie des Wrestlers gehört es, dass wir seinen echten Namen selten kennen, dass Darsteller mit Dargestelltem untrennbar verschmelzen sollen, so wollen es ja die Regeln, damit die Illusion nicht bricht. Es war der Schriftsteller Clemens Setz, der vor ein paar Jahren in seiner Klagenfurter Rede zur Literatur über diese Tragik schrieb: „Sie vergessen nach und nach ihre Taufnamen und denken und sprechen über sich nur noch mit ihrem , ähnlich ihrem großen Vorfahren aus alter Zeit, dem Don Quijote de la Mancha, der ja eigentlich der Señor Alonso Quijano war.“
Der, der am besten vergessen hat, war Hulk Hogan.
Hulk Hogan, eine zum Cartoonpatrioten gesteigerte Gestalt, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren mit dem outrierten Gladiatorentheater verschmolz, das ihn hervorgebracht hatte. In dieser ersten Glanzzeit dieses Sports, zur ersten goldenen Ära der World Wrestling Federation (heute WWE) war Hulk Hogan synonym mit dem Wrestling selbst: eine Actionfigur „“, Bandana auf hellblonder Halbglatze, um den Mund ein hellblondes Hufeisen aus Haaren, ein braungebrannter Koloss im kanariengelben Muscleshirt, das er im Ring sofort am Anfang zerriss, was das Publikum kreischend bestaunte, als hätte er einen Lastwagen mit bloßen Händen zerteilt. Im Wrestling gibt es die Heels, das sind die Bösen, und die Faces, das sind die Guten, und Hogan war deren Anführer, der nur die Hand zum Ohr führen musste, damit das Publikum drei Buchstaben enthemmt schrie, U-S-A, U-S-A usw.
Hogans Storyline im Ring war die des echten all-amerikanischen Helden, was auch immer das bedeuten mochte. Der Bart sagte Motorradclub, der Körper sagte Strandbodybuilding, die Haare sagten „Na was soll’s denn“, Hulk Hogan als Gesamtkunstwerk sagte: harte Arbeit in der Sonne und Dosenbier in Roadsidebars mit einem Parkplatz voller Pick-ups. Die Figur von Hulk Hogan verkörperte eine hypermaskuline Seelengeografie jenes Teils der USA, den man aus den Abgründen des Unterhaltungsfernsehens kannte. Darauf gründete sich sein Ruhm. Er sah aus wie ein Master of the Universe, der im morschen Lastwagen zum Strand fuhr, kein gemeißelter Schönling mit ständig feuchten Haaren, kein Zirkusathlet im Paillettenstretchkostüm wie manche seiner Kollegen, sondern ein Mann aus dem Volk auf Steroiden, der mit der monströs gut gelaunten Selbstgewissheit des ewigen Siegers bisweilen höchstsymbolisch im Ring die Krisen löste, in denen sein Land gerade auf der Welt steckte.
Man konnte die Ringexistenz Hulk Hogan auf seinem Höhepunkt für eine bewusste Karikatur des tapferen amerikanischen Kriegers halten oder ihn tatsächlich für eine (recht zweifelhafte) Symbolgestalt eines Landes, die übermächtige Gegner bezwang, die André the Giant, Sergeant Slaughter oder Yokozuna hießen. In den Storys und Fehden stand Hulk Hogan ständig am Rande der Niederlage, immerzu nahe dem Pin-Down, wenn der Ringrichter bereits theatralisch die Hand zum dritten Mal auf die Matte schlagen wollte, dann Auferstehung, Bumms vorbei, Fahne hoch und Abgang. So wollte es meistens das Skript, so wollten es wohl auch die Fans, die es Hogan mit Kreischen dankten und so sein wollten wie er, nicht alle waren Kinder.
Bekanntlich kann Wrestling albernes, spektakuläres, kindisches, großes Entertainment sein, wenn man bloß bereit ist, dem Zirkus unschuldig zu glauben und die prekären Bedingungen zu verdrängen, in denen die meisten Wrestler darin existieren, den Verschleiß der Körper, die oft fehlende Versicherung, die geringen Gagen im Vergleich zu den Milliarden, die damit andere inzwischen verdienen.
Und vielleicht wäre Wrestling ohne Hulk Hogan nie zum globalen Massenphänomen geworden, er stieg auf zum Maskottchen dieses Sports, das in Filmen auftauchte, in , in zahllosen zweitklassigen Actionfilmen, immer in der Nebenrolle, aber er war ja groß genug, dass man ihn trotzdem sehen konnte – eine Popfigur und Medienskurrilität, die, als die Wrestlingkarriere zu Ende ging, Kunst und Leben miteinander zu verwechseln schien und sich selbst mit der Gestalt, die man einst für ihn geschrieben hatte. Der reaktionäre Muskelpatriot aus dem Paralleluniversum des Wrestlings, jetzt nur in Echt, ohne Regieanweisungen, aber weiterhin mit dem Fantasienamen, den alle kennen.
Bloß die Storylines schrieben inzwischen Produzenten von abgehalftert schrillen Realityshows, das Trashfernsehen und Boulevardzeitungen. Der Klatschblog etwa veröffentlichte 2015 ein Sextape, wogegen Hogan klagte und außergerichtlich ein paar Millionen bekam. Und es schien kein großes Wunder zu sein, dass Hogan, der in seiner größten Rolle einst andauernd die USA beschützte, zuletzt zum treuen Anhänger von Donald Trump und dessen MAGA-Bewegung wurde, deren infantile Erzählung von Gut und Böse, Feind und Freund, Kampf, Rache und Verschwörung der Erzähllogik des Wrestlings ohnehin sehr ähnlich sieht. Nun ist Hulk Hogan, der mit echtem Namen Terry Bollea hieß, im Alter von 71 Jahren gestorben.