Über
die ersten Wochen von Friedrich Merz‚ Amtszeit als Bundeskanzler lässt sich
zunächst sagen, dass sie nicht sonderlich verlaufen sind. Erst
der Ärger mit dem zweiten Wahlgang, diverse politische Manöver, die etwas wirr
wirkten – beim Kanzler Merz läuft es bislang nicht so. Doch das 21. Jahrhundert
hat den Vorteil, dass es soziale Medien gibt, und die bieten die Möglichkeit,
einen vielleicht unvorteilhaften Eindruck auf der Bühne des alltäglichen
Geschäfts durch neue Eindrücke auf der Bühne des Internets zu korrigieren. Was
tut @bundeskanzler Merz also für den Ruf des Bundeskanzlers Merz?
Auch
in der Welt der sozialen Medien war Merz‘ Start etwas holprig: In einem
Interview-Ausschnitt auf TikTok und Instagram sah man den Mauszeiger auf dem
Kanzlersakko, was für alle, die „Cursor“ statt „Mauszeiger“ sagen, Ausdruck von Merz‘ mangelnder
Digitalisierungskompetenz
war (und unter anderem lustig, weil der Kanzler in diesem Ausschnitt das neue
Digitalministerium anpries). Aber vielleicht war das auch gekonnte
Selbstironie, seien wir also nicht so streng und konzentrieren uns aufs
Wesentliche, und das sind beim Insta-Merz: die Reels.
Es
gehört mittlerweile zum guten Ton staatstragender Onlinepräsenz, dass jeder
wichtige Termin und Staatsbesuch mit einem Reel dokumentiert wird. Wolodymyr
Selenskyj macht das, Keir Starmer macht das, Giorgia Meloni macht das, und
schaut man die Reels von Emmanuel Macron, fragt man sich oft, ob man nicht
versehentlich in einem Chanel-Werbespot gelandet ist.
Die
Reels von Friedrich Merz folgen hingegen dem immer gleichen Prinzip: Eine
seiner Reden dient als Voiceover, dazu sieht man in schnellen Schnitten den
Kanzler in Aktion, wie er ins Kanzlerflugzeug oder Kanzlerauto steigt, wie er den
israelischen Staatspräsidenten durch sein Büro und den griechischen
Ministerpräsidenten über den roten Teppich führt, mit Donald Trump im Oval Office parliert und, vor allem: Hände schüttelt. Händeschütteln
scheint das Kerngeschäft als @bundeskanzler, entschlossen packt Merz zu,
tätschelt Oberarme, sei es bei Selenskyj, Meloni oder bei der Kanzlerflugzeugstewardess.
Hier ergreift einer nicht nur Hände, sondern auch die diplomatische Initiative.
Diesen
Eindruck will Merz auch innenpolitisch vermitteln: „Entschlossen, dieses Land
gut zu regieren“, steht so unter dem Video eines Talkshow-Auftritts. Nun ist
Entschlossenheit leider nicht unbedingt das Erste, was einem nach den ersten
Wochen der Kanzlerschaft in den Sinn kommt. Erst das Abrücken von sämtlichen politischen
Versprechen, die aus Oppositionssicht noch leicht umsetzbar schienen (Schuldenbremse, Atomkraft). Dann eine verwirrende Formulierung zur
Reichweitenbeschränkung deutscher Waffen. Ein Waffenstillstandsultimatum an Putin,
dessen Verstreichen folgenlos blieb.
Eine Aussage zum Leid in Gaza, aus der
nichts resultierte. Und die so oft beschworene „Asylwende“
verstößt dem Berliner Verwaltungsgericht zufolge, ups, gegen Europarecht.
Diese
realpolitischen Fakten passen kaum mit der demonstrativen Entschiedenheit
zusammen, die Friedrich Merz schon im Wahlkampf zu seinem habituellen Alleinstellungsmerkmal
machte und rhetorisch gern mit der Worthülse „in der Sache“ unterstrich. Als Oppositionspolitiker ließ
Merz keine Gelegenheit aus, eine „Wende“ zu versprechen, falls er Kanzler
werden sollte. Dass diese Wende nun nicht unmittelbar einsetzt, darüber scheint
vor allem die musikalische Untermalung der Kanzler-Reels hinwegtäuschen zu
wollen: Stakkato-Geigen begleiten Merz‘ Besuch in die baltischen Staaten, epische Filmmusik
seine Rede an die Bundeswehr, euphorischer Upbeat soll die Panne des ersten
Wahlgangs in einem Post des 6. Mai kaschieren. Der @bundeskanzler: ein Held,
der sich vor wechselnder musikalischer Kulisse mal ernsthaft, mal freudig, aber
stets energisch durch den politischen Alltag navigiert.
Heroisch
inszeniert sich Merz auch in den zwischenmenschlichen Interaktionen, die auf
seinem Account dokumentiert sind:
sagt Merz in einem der Reels zu Selenskyj, als wäre er dessen großer Bruder,
der die Feinde auf dem Schulhof schon im Schach zu halten weiß. Mit diesem
Gestus legt Merz seinem ukrainischen Kollegen in einem anderen Reel den Arm um
die Schulter, was aufgrund des Größenunterschieds jenen paternalistischen
Effekt erzielt, den es wohl erzielen soll. Es ist das eine, dass diese Szene so
passiert ist. Es ist das andere, dass Merz‘ Social-Media-Team sie für so
zentral hält, dass sie ihr ein Reel gewidmet hat.
Dort,
im Social-Media-Team des Kanzlers, scheint sich die eigentliche Wende vollzogen
zu haben, von der Merz sprach, als er noch nicht Kanzler war. Offensichtlich
hat man die Strategie der Merz-Inszenierung geändert. Kurze Erinnerung an den
Wahlkampf, der zumindest in sozialen Medien vorrangig in Pommes- und Dönerbuden
stattzufinden schien: Auch Merz probierte sich in Volksnähe, etwa indem er
eiskalt Markus Söders Idee klaute, sich mit einem Big Mac filmen zu lassen, und
das mit dem „Burgersprechstunde“ versah. Doch während Söder mühelos über
seine präferierte Technik der Burgerzufuhr referierte, beschränkte sich Merz‘ Clip auf wenige, etwas diffuse Sekunden und transportierte so vor allem die
Botschaft, dass irgendein Social-Media-Millennial seinen Chef dazu überredet
hatte, es mal mit Fast-Food-Folklore zu probieren.
Wohl
auch aufgrund solcher missglückten Übungen in Coolness blieb die Reichweite des Merz-Accounts weit hinter der anderer Spitzenkandidaten. Vielleicht resultierte daraus die Entscheidung, dass Merz tun
sollte, was ihm am nächsten liegt: sichere Distanz zur Kamera wahren. Merz‘ Social-Media-Team
weiß wohl darum, dass der Kanzler weder die Wurstigkeit eines Söders noch den
Charme eines Macron besitzt und auch nicht die Schmunzelenergie eines Robert
Habeck. Von Versuchen der Volksnähe fehlt so auf dem Account des Kanzlers jede Spur, auf Selfie-Videos, wie sie Macron regelmäßig aus dem Élysée-Palast schickt und mit kokettem Augenzwinkern beendet, wird man bei Merz vergeblich warten.
Überhaupt vermied er bislang den direkten Blickkontakt mit seinem Publikum, der ihm ja auch sonst eher schwerfällt. Doch
Distanz, das ist in sozialen Medien keine Währung, mit der sich politische
Fehler kaschieren ließen.
Das hat wohl nun auch Merz‘ Team begriffen: In
den vergangenen Tagen veröffentlichte der Kanzler-Account direkt zwei
Videos, in denen Merz sich den Fragen seiner Follower stellt – und, mit Blick in die Kamera, nicht nur erstaunlich selbstironisch über seine Frisur spricht, sondern auch ankündigt, Deutschland „auf Vordermann“ bringen zu wollen. Mit dieser Entschlossenheit versucht Merz auszugleichen, was ihm auf der realpolitischen Bühne misslingt. Durchgreifen
wird zur leeren Behauptung, die Reels zum Modus Operandi eines
Kanzlers erklären, der in Wahrheit eher strauchelt.