Dein Wichtel aus dem Darknet

Der Auftakt zur neuen Zürcher -Folge (SRF-Redaktion: Fabienne Andreoli, Gabriella de Gara) macht Eindruck. In der schönen Schweizer Metropole mit See erwacht ein neuer Tag: Man sieht eine Skateboarderin, einen Mann mit Hund und einen auf einem Fahrrad, eine ältere Frau in einer Yoga-Gruppe. Und plötzlich fallen alle um wie vom Blitz getroffen, ein Splitscreen hält das bittere Ergebnis fest.

Das könnte der Anfang einer makabren Komödie sein oder der Startschuss für einen B-Movie-Reißer alter Manier, aber der Zürich entscheidet sich für die gepflegte Mittellage. will den üblichen Rundumschlag mit gesellschaftlichem Problem, aber auch mit Herz.

Nicht nur im übertragenen Sinne. Die vier einander unbekannten Personen verbindet das Gerät, das sie im Körper tragen und, das wird betont, kein Herzschrittmacher ist, sondern ein ICD () vom Hersteller Lauber Cardio. Die Firma wird von zwei Brüdern geführt, die nicht als seriös gecastet werden mussten – Kilian (Elias Arens) und Simon Berger (Martin Vischer). Der erste aalglatter Chef, der zweite schwitziger Technik-Boss, und wegen des unmenschlichen Leistungsdrucks im Kapitalismus hat die Bude schon vor neun Jahren so sehr geschlampt, dass Menschen deswegen ums Leben gekommen sind.

Die aktuelle Umfall-Serie mit den gehackten ICDs stellt sich am Ende als Rachefeldzug einer Überlebenden von damals heraus, zumindest ansatzweise. Paula Bianchi (Annina Walt) wollte gemeinsam mit dem ehemaligen Lauber-Mitarbeiter und Cardio-Coder Albin Fischer (Sven Schelker) natürlich nicht reihenweise Leute umbringen, aber durchs Geschlamper in der Firma wird aus dem kurzen Stromstoß ein zu langer und aus der kurzen Störung ein gravierendes Problem (Drehbuch: André Küttel, Petra Ivanov).

sichert sich dadurch immerhin einen Platz in den Geschichtsbüchern des ARD-Sonntagabendkrimis: 56 Herztote werden am Ende der Folge bilanziert von Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Ott (Carol Schuler) plus Noah Löwenherz (Aaron Arens), der final den Schlüssel zur Lösung des Spuks findet auf dem USB-Stick des toten Albin Fischer. Wenn man den noch dazurechnet, umgebracht von Simon Berger, macht das insgesamt 57 Leichen – und damit mehr, als die großzügigsten Zählungen für den bisherigen Rekordhalter aus Wiesbaden von 2015 ausweisen (um die 50).

Während der Murot-, inspiriert von Reißern älterer Manier, seinerzeit auf den splatterhaften Überschuss an Toten hinauswollte, zeigt sich Zürich relativ unbeeindruckt von dem Body Count, den die Folge produziert. Ständige Inserts schränken den Zeitraum der Handlung zwar auf gut 24 Stunden ein, außerdem wird eine Nachrichtensperre verhängt. Aber für die Panik, die ausbrechen könnte in einer durchvernetzten Echtzeit-Welt wie der unseren, hat der Film keinen Begriff. Vermutlich, weil ihm die Mittel fehlen, eine große, alarmierte Außenwelt zu inszenieren.

Einziges Zeichen der drohenden Aufregung ist Anna Bianchi, die eigentlich als Journalistin arbeitet und wie so viele Vertreterinnen dieses Berufsstands im Krimi ihren investigativen Eifer in erzürnt-empörte Auftritte übersetzen muss (Regie: Barbara Kulcsar). Gebremst wird sie dabei von Redakteurin Tilla (Sofia Borsani), die, man mag es bei einem Medium mit Namen kaum glauben, auf Qualitätsstandards pocht („Das musst du seriös recherchieren“) und ein Veröffentlichungstempo wie vor Erfindung der Druckerpresse an den Tag legt. Wie rührend.

Das Emotionale bildet dann auch den Fluchtpunkt von . Wenn’s mit dem Konkurrenzdruck unter Firmen, die vom Weltmarkt träumen, schon so hart ist, dass Menschen sterben müssen, dann liegt die Rettung im Menschlichen. Die Mutter von Ott (Babett Arens) verabschiedet sich zu Beginn auf ein Retreat ohne Handy und sonstigen Kontakt zur Außenwelt. Mit einem implantierten Gerät von Lauber Cardio. Das soll die Tochter noch einmal stärker in die Ermittlungen involvieren, was man ohne die entsprechende Bemerkung von Kollegin Grandjean aber auch nicht unbedingt gemerkt hätte.

Zur Benachrichtigung der Mutter wird der getrennt von ihr lebende Vater von Ott (Oscar Bingisser) losgeschickt in die Berge, weshalb man sich sorgen kann, dass ihm die Puste ausgeht, bevor er das Leben der Ex-Frau rettet. Es geht aber alles gut, und so führt die ganz gruselige Geschichte mit den vielen Toten wenigstens zur Versöhnung der Ott-Familie im Krankenhaus.

Was nicht ohne Ironie ist, weil sich Kommissarin Ott ja immer gegen den familiären Reichtum gesträubt hatte. So ist dieser ein gutes Beispiel dafür, warum der Kapitalismus so hartnäckig ist – er geht aus seinen Krisen immer nur gestärkt vor.

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