„Das stille Sterben des Mittelstands im Straßentransport“

Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist in Deutschland so kleinteilig wie das Transportgewerbe. Rund 80 Prozent der Fuhrunternehmen haben weniger als 20 Mitarbeiter. Vor allem unter diesen für die Branche typischen Mittelstandsfirmen grassiert gerade eine Pleitewelle – womöglich mit großen Folgen für die deutsche Wirtschaft.

Denn sollte die Konjunktur im nächsten Jahr wieder anziehen, könnten fehlende Transportkapazitäten den Aufschwung bremsen. Schließlich werden hierzulande, gemessen an der Transportmenge, immer noch 85 Prozent aller Waren mit dem Lkw transportiert. Industrie oder Privatkäufer müssten dann länger auf Warenlieferungen warten und wohl auch mehr für den Transport zahlen.

Die Logistik ist der drittgrößte Wirtschaftsbereich nach dem Automobilbau und dem Handel. Rund 3,3 Millionen Beschäftigte arbeiten in gut 70.000 vorwiegend mittelständischen Unternehmen. Rund ein Fünftel der Mitarbeiter ist im Straßengüterverkehr tätig. Und nach Zahlen der Verkehrspolitik wird die Bedeutung des Straßentransports weiter steigen: Bis Mitte des Jahrhunderts soll der Gütertransport über die Straße um 54 Prozent zunehmen. Auslöser dafür sind etwa ein wachsendes Onlinegeschäft der Einzelhändler sowie die Zunahme an Lieferdiensten.

Nach Aussage des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) leiden die Fuhrunternehmen in Deutschland unter steigenden Kosten etwa für die Lkw-Maut, das Personal oder den Verwaltungsaufwand. Die Folgen sind nachzulesen: Von Januar bis August 2024 haben laut dem Statistischen Bundesamt im Transportlogistikgewerbe 262 Betriebe einen Insolvenzantrag gestellt. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum ist das eine Erhöhung um 13 Prozent.

Zudem geben aus wirtschaftlicher Notlage heraus Betriebe freiwillig auf, andere Spediteure verkleinern ihren Fuhrpark. Frachtenbörsen wie der Anbieter Timocom berichteten in den vergangenen Monaten bereits von steigender Transportnachfrage bei gleichzeitig sinkendem Angebot an Lkw-Laderaum.

„Nur dadurch, dass unsere Wirtschaft gerade schwächelt, sind die Folgen noch nicht deutlich zu sehen“, sagt Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher im BGL. Dabei hänge der Wohlstand der Gesellschaft von einem funktionierenden Gütertransport ab. „Sollte die Konjunktur wieder anziehen, werden wir Probleme bekommen“, sagt Engelhardt.

Starke Konkurrenz aus dem Ausland

Im Unterschied zu anderen Teilen der Logistik liegen die Gewinne mittelständischer Fuhrunternehmer im Durchschnitt mit einem bis zwei Prozent vom Umsatz eher niedrig. Ein Grund dafür ist die Konkurrenz ausländischer Speditionen auf dem deutschen Transportmarkt. Unternehmen etwa aus Bulgarien oder den baltischen Staaten arbeiten mit Stundenlöhnen für ihre Fahrer von einigen wenigen Euro.

„Die Politik ist aufgefordert, das stille Sterben des Mittelstands im Straßentransport zu verhindern“, sagt Verbandslobbyist Engelhardt. Es gehe darum, die Versorgungssicherheit in Deutschland aufrechtzuerhalten.

In einem „100-Tage-Programm“ stellt der Branchenverband Forderungen an eine neue Bundesregierung auf. So soll von den Einnahmen aus der Lkw-Maut ein größerer Teil als bislang etwa in den Ausbau von Lkw-Parkplätzen entlang den Autobahnen oder in den Wechsel vom Dieselantrieb hin zu Alternativen wie der E-Mobilität investiert werden.

Geld genug sei vorhanden, lautet das Credo der Branchenlobbyisten. Nach der Erhöhung der Mautgebühren werden sich die Einnahmen binnen eines Jahres von sieben Milliarden Euro auf 15 Milliarden Euro verdoppeln. Bis zum Jahr 2030 soll diese Summe laut Planung des Bundesverkehrsministeriums auf rund 30 Milliarden Euro steigen. Aus Teilen dieser Mittel sollen nach den Wünschen der Branche Investitionen wie auch Förderungen finanziert werden.

Zudem fordert der Branchenverband die Verkehrspolitik dazu auf, den Aufwand der Spediteure für Bürokratie zu verringern und auf der Ebene der Europäischen Union einen Abbau an Vorschriften zu erwirken. „Allein aus dem Green Deal der EU kommen noch 800 Rechtsakte auf unsere Fuhrunternehmer zu“, sagt Engelhardt. Dies sei für viele Firmen nicht zu bewältigen.

In Teilen hat die aktuelle Bundesregierung auf das Problem reagiert. So hat die „Kommission Straßengüterverkehr“ im Bundesverkehrsministerium unter Minister Volker Wissing 24 Maßnahmen zur Entbürokratisierung der Logistikbranche ausgearbeitet, die nun umgesetzt werden sollen. Das betrifft Förderprogramme oder auch den Abbau von Wettbewerbsnachteilen.

Auch bei der Transformation hin zu einem umweltverträglichen Gütertransport gibt es Forderungen. „Es muss Schluss sein mit den utopischen Klimaanforderungen an unsere Branche“, sagt Engelhardt. Eine Reduzierung der Kohlendioxidemissionen im Straßengüterverkehr um 30 Prozent bis zum Jahr 2030, so wie es derzeit die Vorgabe ist, sei unrealistisch.

Zudem bräuchten die Betriebe eine verlässliche Planung und Förderung etwa bei dem Umstieg auf die E-Mobilität im Lkw-Transport. Ein schwerer Elektro-Lkw ist mit rund 250.000 Euro in der Anschaffung im Vergleich mit einem Diesel-Lkw etwa doppelt so teuer.

Um dem Fahrermangel entgegenzuwirken, fordert der Verband vereinfachte Regeln zur Zulassung ausländischer Fahrer sowie die Anerkennung von Führerscheinen und Ausbildungen. Es müsse eine Zuwanderung an Fachkräften geben. Laut dem BGL werden im kommenden Jahr bis zu 135.000 Lkw-Fahrer in Deutschland fehlen. Jährlich gehen 30.000 Berufskraftfahrer in den Ruhestand, aber nur etwa 15.000 Berufseinsteiger kommen nach.

Birger Nicolai ist Wirtschaftskorrespondent in Hamburg. Er berichtet über Schifffahrt, Logistik, den Tankstellen- und Kaffeemarkt sowie Mittelstandsunternehmen.