Das Leid der Fairtrade-Bauern – geschaffen in Brüssel

Gute Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung für Kleinbauern sind den Verbrauchern in Deutschland wieder wichtiger. Nachdem zuletzt zwei Jahre lang vor allem der Preis entscheidend war beim Einkauf von Lebensmitteln und anderen sogenannten schnelllebigen Konsumgütern, wird jetzt wieder stärker auf Themen wie Nachhaltigkeit geachtet. Das zeigen eine Umfrage der Marktforscher von der GfK und der aktuelle Halbjahresbericht von Fairtrade, der WELT vorliegt.

Um drei Prozent ist hierzulande der Absatz von Fairtrade-Produkten in den ersten sechs Monaten 2024 gestiegen. In den Hauptkategorien Kaffee, Bananen und Rosen lag das Plus sogar bei fünf, neun und sieben Prozent, meldet Fairtrade Deutschland. Der gemeinnützige Verein gibt hierzulande das bekannte Siegel heraus, mit dem gekennzeichnet wird, dass Produzenten festgesetzte soziale und teilweise auch ökologische Kriterien einhalten. Dafür bekommen die Erzeuger in den meist ärmeren Staaten des Globalen Südens nicht nur einen kostendeckenden Mindestpreis, sondern zusätzlich auch eine Prämie.

Dieser Aufschlag wird von den Bauern üblicherweise für Zukunftsprojekte genutzt, etwa um Anbaumethoden zu verbessern oder Einnahmequellen zu diversifizieren. Das allerdings ist aktuell nicht mehr möglich. Der Grund: die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR).

Die neue Vorschrift verlangt von Herstellern und Händlern, die Produkte in der Europäischen Union verkaufen, den Nachweis, dass dafür eingesetzte Rohstoffe wie Kaffee, Kakao, Soja, Palmöl, Rindfleisch oder Holz nicht auf Flächen produziert worden sind, auf denen seit dem 31. Dezember 2020 Entwaldung oder Waldschädigung stattgefunden hat. Für diesen Nachweis sind sogenannte Geodaten nötig.

Und die lassen sich Industrie und Handel von den Kleinbauern besorgen, beklagt Claudia Brück, geschäftsführende Vorständin bei Fairtrade Deutschland, im WELT-Gespräch. „Die Erzeuger sind aktuell dazu gezwungen, ihr Geld in Regulatorik zu stecken statt in Investitionen. Denn Industrie und Handel geben den Druck einfach weiter an das schwächste Glied in der Kette.“ Zukunftsprojekte lägen deswegen nun reihenweise auf Eis.

Zwar hält Fairtrade die Entwaldungsverordnung für sinnvoll. „Wir begrüßen die Ziele“, sagt Brück. „Die Art und Weise der Umsetzung sehen wir aber kritisch.“ Leider habe die Politik das Gesetz nicht bis zum Ende gedacht. „Die Kosten für die Einhaltung der Vorschriften dürfen nicht auf jene am Anfang der Lieferkette abgewälzt werden.“

Brück fordert deswegen „mehr Ressourcen für diejenigen, die sie vor Ort umsetzen müssen“, etwa in Form von Geld. „Die EU muss die Produzenten finanziell unterstützen, damit sie die Daten erheben können“, sagt Brück. „Denn gerade die Schwächsten im System sollten nicht die Kosten für die Einhaltung von Gesetzen tragen, die von der EU auferlegt werden.“

Die jüngst angekündigten Pläne einer Verschiebung der EUDR dürften Fairtrade dementsprechend entgegenkommen. Um zwölf Monate auf Ende 2025 will die EU-Kommission den Anwendungsbeginn verzögern. „Was nun keinesfalls passieren darf, ist eine Verwässerung der EUDR“, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins.

Die EU, die Mitgliedstaaten und der Unternehmenssektor müssten die Zeit aber nutzen, die Kleinbauern und ihre Organisationen umfassend zu unterstützen. „Fairtrade fordert die EU auf, die Bauern kontinuierlich einzubeziehen und zu konsultieren, damit sie nicht aufgrund mangelnder Ressourcen vom EU-Markt ausgeschlossen werden.“

Bauern könnten sich künftig umorientieren

Europa und dort insbesondere Deutschland gehört zu den wichtigsten Absatzmärkten für Fairtrade-Produkte. 2023 summierten sich die Umsätze hierzulande auf rund 2,6 Milliarden Euro. Weil die einzuhaltenden Kriterien für das grün-blau-schwarze Siegel aber weltweit gleich sind, könnten sich Bauern und Kooperativen künftig umorientieren. „Der Mehraufwand ist gewaltig, nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch“, sagt Expertin Brück, die auch Lieferstopps von Kaffee, Kakao und Co. mit Nachhaltigkeits-Nachweis nicht ausschließt. „Viele Bauern könnten künftig den einfachen Weg gehen und ihre Waren statt in die EU in andere Märkte verkaufen.“

Dabei sind die Wachstumsaussichten für Fairtrade in Deutschland eigentlich gut. Zumindest haben die Marktforscher der GfK im laufenden Jahr schon mehrfach eine steigende Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Produkte registriert. Laut der Studie „GfK Consumer Life“ lag der Anteil der Konsumenten, die häufig nachhaltige Lebensmittel und Drogerieprodukte gekauft haben, zur Jahresmitte bei 27 Prozent. Und zwei Drittel der Verbraucher planen auch weiterhin derartige Produkte zu kaufen – und dafür höhere Preise zu bezahlen. Als akzeptabel erachten die Verbraucher dabei Aufschläge von fünf bis zehn Prozent, zeigen andere Umfragen. Sind die Zuschläge höher, nimmt die Akzeptanz dagegen rapide ab.

Wichtigste Fairtrade-Produkte in deutschen Supermärkten und Discountern sind gemessen an den verkauften Mengen Kaffee, Bananen, Rosen und Kakao. Beim Marktanteil liegen die Rosen weit vorn mit mittlerweile 36 Prozent, meldet Fairtrade Deutschland. Kakao und Bananen kommen auf 17 und 15 Prozent, beim Kaffee sind es fünf Prozent. „Das sind schon gute Werte“, sagt Lobbyistin Brück. „Da ist aber auch noch Luft nach oben.“ Und zwar nicht nur bei den bereits etablierten Produkten.

Potenzial gebe es auch für andere Obst- und Gemüsesorten wie Ananas und Avocados, für zusätzliche Blumenarten oder für Textilien aus Baumwolle. „Der Handel muss sich noch mehr trauen“, fordert Brück und verweist auf die Schweiz, wo es den weltweit höchsten Pro-Kopf-Anteil an fair gehandelten Produkten gibt – auch weil die Handelsketten konsequent auf entsprechende Waren setzen.

Zudem gibt es dort den „Fairbrurary“. Das Kofferwort aus „fair“ und „februrary“, der englischen Übersetzung für Februar, soll die Verbraucher dazu ermuntern, im Monat Februar ganz besonders auf den Konsum fair gehandelter Produkte zu setzen, ähnlich dem schon bekannteren Veganuary beim Thema vegane und vegetarische Ernährung. Deutschland hat diese Aktion in diesem Jahr erstmals übernommen und per Plakatkampagne sowie über Social Media mit Slogans wie „Iss mal ‘ne Fairnane“ oder „Gönn Dir ‘nen Fairpresso“ dazu aufgerufen, Fairtrade-Produkte zu kaufen.

Sieben Hersteller und Händler haben sich als Kooperationspartner beteiligt, darunter Edeka und Darboven. „Die Rückmeldung war, dass es gewirkt hat“, sagt Claudia Brück, die zudem berichtet, dass es für 2025 bereits etliche Anfragen von weiteren Unternehmen gibt.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.