Das geplante Wirtschaftswunder an den Küsten lässt auf sich warten

Deutschland besitzt die technologische und logistische Exzellenz, um weltweit wieder mit an die Spitze der Offshore-Windkraft-Branche zu gelangen. Doch das industrielle Netzwerk kommt derzeit nicht schnell genug in Gang, um die vom Bund vorgegebenen Ausbauziele für die kommenden Jahre zu erreichen.

Die Bundesregierung solle die Bedingungen für den Ausbau der Infrastruktur und die Ausschreibungen für neue Offshore-Windparks auf der Nord- und Ostsee verbessern, forderten am Freitag die Teilnehmer einer hochkarätig besetzten Offshore-Windkraft-Konferenz in Emden. Dafür müsse ein industriepolitisches Konzept entwickelt werden.

„Um die Energiewende zu schaffen, müssen wir die Windindustrie über die gesamte Wertschöpfungskette stärken. Dafür benötigen wir mehr Unternehmen, mehr Fachkräfte und eine bessere Infrastruktur“, sagte Heiko Messerschmidt, Sekretär des Bezirks Küste bei der Gewerkschaft IG Metall. „Bei künftigen Ausschreibungen darf es nicht nur ums Geld gehen. Wir erwarten, dass qualitative Kriterien wie Beschäftigung und Wertschöpfung stärker berücksichtigt werden.“ Speziell die Industrie mit hohem Energieverbrauch brauche zudem „bessere Möglichkeiten, um an günstigen, grünen Offshore-Strom zu kommen. So lassen sich gute, tariflich abgesicherte Arbeitsplätze weit über die Windbranche hinaus sichern.“

Derzeit sind rund 8,6 Gigawatt Offshore-Windkraft-Leistung in den deutschen Seegebieten von Nord- und Ostsee installiert – und dies hat 15 Jahre lang gedauert. Bis 2030 allerdings sollen es nach der Zielvorgabe des Bundes 30 Gigawatt sein – 21 Gigawatt zusätzlich in gerade noch fünf bis sechs Jahren. 35 Gigawatt sind das Ziel für das Jahr 2035 und mehr als 70 Gigawatt für das Jahr 2045. Wegen zahlreicher Engpässe allerdings – einem Mangel an Konverterstationen für die Landanschlüsse, zu wenigen Fachkräften und zu wenig verfügbaren Schwerlastflächen in den Häfen – drohen zumindest die kurzfristigen Ausbauziele zu scheitern.

„Die Ausschreibungsbedingungen durch den Bund sind völlig inakzeptabel. Es muss darum gehen, dass die Produktion und die Arbeitsplatzentwicklung in Deutschland und Europa Bedingungen für die Vergabe von Offshoreflächen sind“, sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). „Das gilt – mit Blick auf China – auch für die Turbinen und Komponenten. Und man sieht dies auch am Beispiel Stahl.“ Die Branche sei bereit für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Produktion: „Was wir jetzt brauchen, ist eine integrierte Industrie- und Wirtschaftspolitik. Darin muss der Aufbau von klimaneutralen Leitmärkten ein wesentliches Element sein.“

Neue Windparkprojekte in den deutschen Seegebieten wurden vom Bund in jüngerer Zeit zu besonders hohen, Milliarden Euro teuren Geboten auch an Öl- und Gaskonzerne wie BP oder Total vergeben. Lies forderte hingegen, bei der Vergabe qualitative Merkmale in den Vordergrund zu rücken, etwa die heimische und regionale Wertschöpfung oder die Fertigung von Offshore-Windkraft-Komponenten mit klimaschonend erzeugtem, „grünen“ Stahl. „Grüner Stahl spielt für die Wertschöpfung eine entscheidende Rolle, und die Produktion muss hier vor Ort stattfinden“, sagte Lies. „Damit Wertschöpfung, Beschäftigung und Transformation wie beim grünen Stahl in Deutschland und Europa vorankommen, darf es nicht bei dem finanziell besten Angebot den Zuschlag geben.“

Karina Würtz, die Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie, sagte mit Blick auf die Ausbauziele: „Das Ausschreibungsdesign für Offshore-Wind-Flächen in Deutschland stellt in seiner jetzigen Ausgestaltung ein massives – und unnötiges – Risiko für die Erreichung und Umsetzung der Ausbauziele dar. Durch seinen starken Fokus auf die staatliche Erlösmaximierung in den Auktionen incentiviert es maximal riskantes Bieterverhalten der Unternehmen.“ Damit werde der Refinanzierungsdruck auf die geplanten Milliardenprojekte verschärft, „die durch hohe Kosten oder Engpässe in der Lieferkette bereits ohnehin massiv unter Druck stehen“.

So wachse auch das Risiko, sagte Würtz, „dass Offshore-Windpark-Projekte, die von der Auktion an gut sechs Jahre in der Zukunft liegen, am Ende in großer Zahl nicht umgesetzt werden. Denn eines muss dem Gesetzgeber klar sein: wenn die Projekte nicht wirtschaftlich sind, werden die Unternehmen sie schlicht nicht bauen – politische Klima- und Ausbauziele hin oder her.“

Im vergangenen Jahrzehnt hatte Deutschland bereits die weltweit erste voll integrierte Offshore-Windkraft-Industrie, mit zahlreichen industriellen Fertigungen auch an den Küsten. Weil die damalige Große Koalition aus CDU und SPD den Offshore-Windkraft-Ausbau aber bremste – wegen vermeintlich zu stark steigender Stromkosten –, wanderte ein großer Teil der Unternehmen von den deutschen Küsten wieder ab.

Wesentliche Komponenten wie die Gleichstrom-Konvertertstationen für die Landanschlüsse speziell der Nordsee-Windparks lassen die Netzbetreiber nun in Asien oder in Spanien bauen. Deutschlands führende Werft für den zivilen Schiffbau, die Meyer Werft, will in Rostock gemeinsam mit dem belgischen Hersteller Smulders eine Konverterproduktion aufbauen. Doch die Meyer Werft ringt seit einigen Monaten mit existenzbedrohenden finanziellen Lasten. Der Bund und das Land Niedersachsen übernahmen von der Familie Meyer kürzlich 80 Prozent der Anteile am Unternehmen. Wie die Meyer Werft am Offshore-Windkraft-Markt weiter vorgehen wird, ist derzeit unklar.

Sorge bereitet der deutschen Offshore-Windkraft-Branche auch das Vordringen chinesischer Windkraft-Turbinen-Hersteller auf den deutschen Markt. Erstmals sollen chinesische Offshore-Turbinen in einem Windparkprojekt des Hamburger Finanzinvestors Luxcara vor Borkum installiert werden. Mit dem Hersteller Ming Yang schloss Luxcara einen Vorvertrag zur Lieferung von 16 Offshore-Windturbinen für das Projekt „Waterkant“. Mit jeweils bis zu 18,5 Megawatt Leistung sind dies derzeit die weltweit stärksten Offshore-Windanlagen.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter bei WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Seit deren internationalen Anfängen vor mehr als 20 Jahren berichtet er über die Offshore-Windkraft-Branche.