Die SPD bleibt Wahlsieger, die CDU überholt die Grünen, die AfD bleibt weit unter ihren Ergebnissen in anderen Ländern. Die Hamburger haben am Sonntag ihre neue Bürgerschaft gewählt – und das politische Gefüge in der Hansestadt unterscheidet sich deutlich vom bundesweiten Stimmungsbild.

Nach dem historisch schlechtesten Ergebnis bei der Bundestagswahl vor einer Woche mit 16,4 Prozent können die Sozialdemokraten doch noch Wahlen gewinnen. Auch wenn sie im Vergleich zur Bürgerschaftswahl 2020 rund 5,5 Prozentpunkte einbüßte und auf 33,7 Prozent kam (Stand: Hochrechnung 20.19 Uhr, ARD).

Worin liegt die Stärke der Hamburg-SPD? Ihr großes Pfund: Spitzenkandidat und Bürgermeister Peter Tschentscher (59). Wäre es möglich gewesen, hätte rund die Hälfte der Hamburger den Amtsinhaber direkt gewählt.

Tschentscher kommt an. „Alleine dieser Aspekt kann bis zu 10 Prozentpunkte ausmachen“, sagt Hermann Binkert (59), Chef des Meinungsforschungsinstituts INSA, zu BILD. „Wenn dazu noch Zufriedenheit in anderen Feldern kommt, haben Sie halt solche Ergebnisse.“

Wahlforscher Matthias Moehl, Chef von election.de, sieht in der Hamburg-SPD eine „Catch All“-Partei: „Sie spricht alle Wählergruppen an. Sie setzt klassische SPD-Themen wie soziale Gerechtigkeit, hat aber auch ein konservatives Profil.“ Sie sei wirtschaftsfreundlich, verzichte auf ideologische Grabenkämpfe, kümmere sich um innere Sicherheit – „und kann besser mit Geld umgehen, als es andernorts in der SPD der Fall ist“.

Während des Wahlkampfs hat Tschentscher auf die Unterstützung der SPD-Bundesprominenz verzichtet. „Sein Rezept ist aufgegangen“, meint SPD-Generalsekretär Matthias Miersch (56)

Was führte zum Aufschwung der CDU? Mit 19,8 Prozent hat sie ihr Ergebnis vor fünf Jahren fast verdoppelt – und die Grünen (18,3 Prozent) als zweitstärkste Kraft überholt. Der Erfolg ist eng mit Spitzenkandidat Dennis Thering (40) verbunden, der den Landesvorsitz vor zwei Jahren übernommen hatte. Er schärfte das konservative Großstadt-Profil der CDU.

Allein von der SPD zog die CDU 22.000 Wähler rüber, von den Grünen 8000, dazu 20.000 Nichtwähler.

Als Zweitplatzierter könnte die CDU einen Vorteil bei der nächsten Bürgerschaftswahl haben. INSA-Chef Binkert: „Dann ist man der Herausforderer, kann ganz anders auftreten.“

Wieso hat die Linke erneut zugelegt? Erstmals war das Ergebnis der Partei in der Hansestadt mit 11,1 Prozent (+ 2,0) zweistellig. Ihre Stärke liegt besonders bei den jungen Wählern: Bei den Unter-30-Jährigen kommt sie laut Forschungsgruppe Wahlen auf 26 Prozent (die SPD ebenfalls).

Dazu trägt auch die Popularität von Heidi Reichinnek (36), Linken-Chefin im Bundestag, bei. Sie erreicht vor allem über die sozialen Medien junge Wählerschichten.

Warum ist die AfD so verhältnismäßig schwach? Mit 7,7 Prozent verpasste die AfD ihr Ziel, zweistellig zu werden. „Wenn es eher um Themen wie Verkehr und Wohnungsbau statt um Asyl geht, kommt die AfD nicht so zum Zug“, meint INSA-Chef Binkert.

Auch AfD-Bundeschef Tino Chrupalla (49) weiß: „Die AfD hat es in Hamburg nicht leicht.“ Seine Partei hole die Stimmen eher in der Fläche.

Wie es jetzt weitergeht?

Tschentscher kündigte an „Es wird unsere erste Frage an die Grünen sein, ob wir die Koalition fortsetzen wollen.“ Aber auch mit der zweitplatzierten CDU wolle er Gespräche führen – wie es sich unter Demokraten gehöre.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (47) findet es richtig, „auzuloten“, ob eine rot-schwarze Koalition für Hamburg Sinn mache. Dies wäre ein echter „Aufbruch“.

Und die FDP steht vor einem Scherbenhaufen, nachdem sie nach dem Aus im Bundestag mit 2,3 Prozent erneut nicht in die Bürgerschaft gewählt wurde. Spitzenkandidatin Katarina Blume (61) und Landeschefin Sonja Jacobsen (53) schlossen ihren Rückzug Sonntagabend nicht aus.