Anfang 2017, weniger als zwei Monate nach Beginn von Donald Trumps erster Amtszeit als US-Präsident, veröffentlichte ich eine Fiktion. Sie spielte in einer damals noch imaginären zweiten Amtszeit Trumps und beschrieb ein Albtraumszenario, in dem die US-amerikanischen Truppen Europa verlassen, die AfD bei den Bundestagswahlen 20 Prozent der Stimmen erhält und Russland eine groß angelegte Invasion der Ukraine startet.
Mit dem Artikel wollte ich damals die Leser auf beiden Seiten des Atlantiks aus ihrer Bequemlichkeit aufrütteln, in der sie sich trotz des prekären Zustands der sogenannten „freien Welt“ eingerichtet hatten.
Aber auch ich war damals nicht auf die Ereignisse vorbereitet, die mit der Rede von Vizepräsident J.D. Vance (40) auf der Münchner Sicherheitskonferenz begannen und mit der Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch Donald Trump und Vance vor laufenden Fernsehkameras im Oval Office endeten.
Für viele mögen sich diese zwei Wochen nicht wesentlich vom Rest der Trump-Ära unterscheiden. Zukünftige Historiker werden das anders sehen: Sie werden sie als einen epochalen Wandel in der Weltpolitik betrachten, vielleicht bedeutsamer als der Fall der Berliner Mauer oder die Terroranschläge vom 11. September. Als Ende der liberalen Weltordnung unter US-amerikanischer Führung.
Diese Ära begann nach dem Zweiten Weltkrieg, als ein isolationistisches Land widerwillig die Führung der Welt übernahm, ein gewaltiges und vielfältiges Unterfangen, das zu beispiellosem Wirtschaftswachstum führte, zu wissenschaftlichen Entdeckungen, menschlichem Wohlstand und Frieden.
Die materiellen Ressourcen Amerikas waren für dieses jahrzehntelange, weltumspannende Unterfangen von entscheidender Bedeutung, aber noch wichtiger war die Überzeugung, die nicht nur von Hunderten Millionen Amerikanern, sondern von unzähligen Menschen auf der ganzen Welt geteilt wurde: dass die Vereinigten Staaten eine außergewöhnliche Nation sind, in einzigartiger Weise in der Lage, eine treibende Kraft für das Gute in der Welt zu sein.
In diesen acht Jahrzehnten wurde die US-amerikanische Außenpolitik von einer Ethik des Idealismus getragen, die sich bis zur Gründung des Landes zurückverfolgen lässt. Ob Republikaner oder Demokraten, die US-Präsidenten beriefen sich regelmäßig auf die schicksalhafte Rolle der Vereinigten Staaten als älteste Demokratie auf der Weltbühne.
Die USA als „beste Hoffnung der Welt“
Präsident Thomas Jefferson (1743–1826) bezeichnete die junge Nation, an deren Gründung er beteiligt war, als „die beste Hoffnung der Welt“. Sein Erzrivale John Adams schickte Waffen an die Anführer des Sklavenaufstands, der zur Befreiung Haitis führte.
Mehr als 150 Jahre später erklärte Dwight Eisenhower (1890–1969): „Wir könnten die reichste und mächtigste Nation sein und dennoch den Kampf um die Welt verlieren, wenn wir unseren Nachbarn in der Welt nicht helfen, ihre Freiheit zu schützen und ihren sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern.“
Sein Nachfolger John F. Kennedy erklärte bekanntlich, Amerika werde „jeden Preis zahlen, jede Last tragen, jede Not überwinden, jeden Freund unterstützen und jedem Feind entgegentreten, um das Überleben und den Erfolg der Freiheit zu sichern“. Und in seiner Abschiedsrede sprach Ronald Reagan (†93) von Amerika als einer „leuchtenden Stadt auf einem Hügel“. Ein Satz, den sein ideologischer Widerpart Barack Obama (63) im Wahlkampf 2016 aufgriff.
Diese Ziele verpflichteten Amerika zur Unterstützung von Demokratien und zum Widerstand gegen Diktaturen. Als globale Supermacht mit einer Verantwortung, die keine andere Nation übernehmen konnte oder wollte, konnte es sich die moralisch makellose Außenpolitik Schwedens nicht leisten. Idealismus und Realismus prallten unvermeidlich aufeinander, wobei der Realismus oft triumphierte.
Dies war besonders während des Kalten Krieges der Fall, als Washington zum Sturz demokratisch gewählter Führer beitrug und autoritäre Regime unterstützte. Und es setzt sich heute mit der amerikanischen Unterstützung für repressive Regierungen im Nahen Osten fort.
Aber selbst, wenn sie sich unmoralischer Mittel bedienten, taten dies amerikanische Staatschefs, um Ziele zu erreichen, die sie für moralisch hielten, sei es der Kampf gegen den Kommunismus, die Eindämmung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder der Widerstand gegen den radikalen Islam.
Eine Welt nach dem Prinzip „Jeder gegen jeden“
Die Gegner der von Amerika geführten liberalen Weltordnung kritisieren unermüdlich deren Fehler, während sie deren Vorzüge als selbstverständlich hinnehmen: freie und offene Seewege, Verbreitung der liberalen Demokratie, wertebasierte Bündnisse, Schutz der Menschenrechte. Sie sind begierig, die internationale Ordnung für ihre vielen Fehler zu kritisieren, aber wollen nicht das System sehen, das rasch an ihre Stelle treten kann: eine Welt nach dem Prinzip „Jeder gegen jeden“, in der Amerika seine Rolle als Weltpolizist aufgegeben hat und sich weniger mächtige Länder dem Willen autoritärer Staaten beugen müssen, die ihre Einflusssphären ausweiten.
Selbst Amerikas schärfste Kritiker könnten dessen Vormachtstellung vermissen, sobald Russland, China und der Iran in Europa, Asien und dem Nahen Osten die Vorherrschaft erlangen.
Es ist der Hintergrund einer jahrhundertealten Praxis, zumindest rhetorisch Recht über Unrecht zu stellen, der das Treffen im Oval Office im vergangenen Monat so beunruhigend erscheinen ließ. In einem Schauspiel, das jeden Amerikaner beschämen sollte, traten die beiden obersten Verfassungshüter des Landes wie ein König und sein Regent auf und verlangten von einem feudalen Bittsteller Gehorsam.
Innerhalb weniger Tage setzte Trump die Militärhilfe und den Austausch von Geheimdienstinformationen mit der Ukraine aus, und obwohl beides später wieder aufgenommen wurde, war die Botschaft unmissverständlich: Nicht einmal ein Verbündeter, der unter militärischem Beschuss steht, kann sich auf die Unterstützung Washingtons verlassen. Nachdem Trump die Ukraine aus persönlichem Groll im Stich gelassen hatte, wandte er sich wieder seinen anderen Gegnern zu: Kanada, Dänemark und Panama.
Trump hat nicht nur unsere demokratischen Verbündeten im Ausland im Stich gelassen, er höhlt auch den Apparat zur Förderung der Demokratie im eigenen Land aus. Voice of America und Radio Free Europe/Radio Liberty – letzteres war mein früherer Arbeitgeber – wurden in den frühen 1950er Jahren gegründet, um Nachrichten und Informationen über den Eisernen Vorhang zu senden, und nach dem Kalten Krieg setzten die Sender die Mission in Regionen der Welt fort, die immer noch unfrei waren.
Viele Nationen, die heute vollständig in Europa integriert sind – darunter Polen, die Tschechische Republik und die baltischen Staaten – verdanken ihre Freiheit zumindest teilweise diesen Organisationen.
Die United States Agency for International Development (USAID) wurde unter Präsident John F. Kennedy gegründet, um die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern, unter denen Autoritarismus und Terrorismus gedeihen. Und die unter Präsident Ronald Reagan gegründete Denkfabrik National Endowment for Democracy vergibt Stipendien an demokratische Aktivisten in aller Welt. Trump strich all diesen Organisationen, die für die besten Werte stehen, die Gelder. In Moskau, Peking und Teheran wird gejubelt.
Anstelle des Idealismus, der die amerikanische Führung der freien Welt beseelte, hat Trump den atavistischen Zynismus vergangener Epochen entfesselt. In dieser neuen Weltordnung, in der das Recht des Stärkeren gilt, wird jeder Appell an moralische Erwägungen in der Praxis der US-Außenpolitik als Schwäche der Schwachen verspottet, die amoralische Ausübung von Macht als Tugend der Starken verehrt. Die instinktive amerikanische Sympathie für den Underdog wird durch die Bewunderung des starken Mannes ersetzt.
Eine umkämpfte Demokratie wird beschuldigt, die Invasion ihres eigenen Territoriums provoziert zu haben – es ist das geopolitische Äquivalent dazu, ein Vergewaltigungsopfer für den eigenen Missbrauch verantwortlich zu machen. Und zum ersten Mal in der Geschichte stimmt Amerika mit den Schurken der Welt gegen seine traditionellen demokratischen Verbündeten in den Vereinten Nationen. Der Inhaber des Amtes, das einst als Synonym für den „Führer der freien Welt“ galt, verunglimpft den Präsidenten eines Landes, das um seine Existenz kämpft, als „Diktator“, während er einen despotischen Kriegsverbrecher als „tollen Kerl“ und „großartigen Menschen“ lobt.
Franklin D. Roosevelt (1882–1945) wird zugeschrieben, dass er sagte, der frühere nicaraguanische Diktator Anastasio Somoza „mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn“. Der US-Präsident hatte damals zumindest die moralische Klarheit, den Caudillo als das zu bezeichnen, was er war – und den Takt, dies hinter verschlossenen Türen zu tun.
Die Vorbilder für Donald Trump
Trump mag Anleihen bei der Schule der amerikanischen Außenpolitik nehmen, die von der Präsidentschaft Andrew Jacksons (1829–1837) geprägt wurde. Sie zeichnete sich durch einen ausgeprägten Nationalismus und Misstrauen gegenüber internationalen Institutionen aus. Aber die historische Figur, auf deren Ideen er sich am stärksten stützt, ist Pat Buchanan (86). Der ehemalige Redenschreiber Nixons und republikanische Präsidentschaftskandidat, einst eine Randfigur der Rechten, vertrat vor dreißig Jahren dieselben drei Prinzipien – Anti-Immigration, Anti-Intervention und Protektionismus. So wie Trump heute.
In der neuen Welt von „America First“ steht Amerika nicht mehr für die Überzeugung, dass Demokratien bessere Verbündete sind als Diktaturen, dass territoriale Aggression bestraft und nicht belohnt werden sollte und dass Bündnisse eine Bereicherung und keine Belastung sind. In seiner Münchner Rede befürwortete Vance die Beteiligung rechtsnationalistischer Parteien an europäischen Regierungen, denen er vorwarf, für ihr eigenes Volk eine größere Bedrohung darzustellen als Russland oder China. All dies ist das Ergebnis einer Außenpolitik, die ohne moralische Skrupel auskommt.
Der Verzicht auf Moral als Faktor in der Außenpolitik markiert auch einen Wendepunkt für die Republikanische Partei. Nächsten Monat jährt sich zum fünfzigsten Mal das Ende des Vietnamkriegs, der von Konservativen einst als beschämendes Beispiel dafür angeführt wurde, was passiert, wenn die USA einen Verbündeten im Stich lassen: die chaotischen Szenen verzweifelter Vietnamesen auf der Flucht vor den anrückenden Kommunisten, die zwei Millionen Boat People, denen die Flucht gelang, die schreckliche Unterdrückung derer, denen sie nicht gelang.
So verdienstvoll das amerikanische Engagement in diesem Konflikt auch gewesen sein mag, die schrecklichen Folgen des amerikanischen Rückzugs waren in der gesamten Region zu spüren. Innerhalb weniger Monate fielen Laos und Kambodscha kommunistischen Aufständen zum Opfer, was die viel belächelte „Domino-Theorie“ bestätigte.
Dann wird die Nato praktisch tot sein!
Trumps Aufgabe der Ukraine hat das Potenzial, diese Ereignisse an geopolitischer Tragweite und menschlichem Leid in den Schatten zu stellen. Wenn die Ukraine gezwungen wird, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, das keine klaren Sicherheitsgarantien bietet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der russische Präsident Wladimir Putin (72) versuchen wird, das Land erneut zu annektieren. Ohne die amerikanische Führung der freien Welt könnte eine solche Invasion die Regierung in Kiew stürzen, was Millionen von Flüchtlingen und eine massive russische Militärpräsenz an den Grenzen mehrerer Nato-Staaten zur Folge hätte.
Da die Garantie der Allianz für kollektive Sicherheit durch Trumps erpresserische Drohungen, sie nicht aufrechtzuerhalten, in Trümmern liegt, wird die Nato – das erfolgreichste Militärbündnis der Geschichte – praktisch tot sein und weiteren russischen Raubzügen in Europa und anderswo Tür und Tor öffnen.
Die Suche nach Hoffnung
Auf der Suche nach einem Silberstreif am Horizont klammern sich einige Nostalgiker an die Hoffnung, dass alles zur Normalität zurückkehren wird, sobald ein Demokrat oder ein traditioneller Republikaner ins Oval Office einzieht. Der Kampf um die Zukunft der konservativen Außenpolitik mag weitergehen, aber es gibt – unabhängig vom Ausgang der nächsten Wahlen – kein Zurück. Verbündete wie Polen und Südkorea, die sich ihres Platzes unter dem amerikanischen Sicherheitsschirm nicht mehr sicher sind, denken über den Erwerb von Atomwaffen nach.
Die einst belächelte französische Idee der „strategischen Autonomie“ – ein von den USA unabhängiger europäischer militärischer Machtpol – steht heute ganz oben auf der Tagesordnung des Kontinents. Die „Five Eyes“-Allianz zum Austausch von Geheimdienstinformationen zwischen den USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland könnte wegen der Unzuverlässigkeit ihres mächtigsten Mitglieds zu „Four Eyes“ schrumpfen.
Was in den letzten beiden Februarwochen geschah, kann in den Köpfen von Amerikas Verbündeten und Gegnern nicht ungeschehen gemacht werden. In einer Welt, in der alle Menschen für sich allein kämpfen, worin unterscheiden sie sich noch?
Die Erzählung, die ich vor acht Jahren geschrieben habe, endet am 9. Mai, dem russischen Tag des Sieges, damit, dass Putin stolz eine riesige Militärparade auf dem Roten Platz abnimmt. Trump hat zwar dementiert, dass er dieses Jahr an den Feierlichkeiten teilnehmen wird, aber wenn er einen Deal mit der Ukraine erzwingen kann, wird er vielleicht der Versuchung nicht widerstehen können, sich in seiner unverdienten Rolle als globaler Friedensstifter zu sonnen.
An der Seite Putins in Moskau zu stehen und die erste bewaffnete Annexion von Territorium auf dem europäischen Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg stillschweigend anzuerkennen, würde den Beginn einer neuen Ära markieren, in der es immer schwieriger wird, Fakten von Fiktion zu trennen.