Plötzlich bist du Teil des Problems. Du
drängst nach vorne, willst staunen und ein Foto machen, aber bitte ohne Blitz.
Einmal die Mona Lisa sehen, das bekannteste Gemälde der Welt. Dafür nimmst du
den gesalzenen Eintritt in Kauf, die fremde Bauchtasche, die sich von hinten unangenehm
an dich drängt, den Ellbogen, der an deiner Augenhöhle vorbeisaust, um sich mixed-martial-arts-mäßig
ein paar Quadratzentimeter zusätzlichen Platz zu erkämpfen. Und dann erhaschst
du zwischen den Schultern zweier Riesen einen Blick auf das Objekt deines
Verlangens und bist gefrustet: Sie ist so klein, denkst du, so unendlich weit
weg. Wie du fühlen viele: Eine Umfrage unter Louvre-Besuchern ergab kürzlich,
dass die meisten Kulturtouristen, die wegen , so der offizielle
Titel, in den Louvre kommen, eine Produktenttäuschung erleben. Von der „Folter“
des Gewimmels sprachen manche Befragte, gar vom „enttäuschendsten Kunstwerk der
Welt“. Mon dieu!
77 mal 53 Zentimeter klein bekomme es der
Besucher im Schnitt nur 50 Sekunden zu sehen. Und dann könne er es kaum
erkennen, wegen des Sicherheitsabstands, der das Superweltkulturerbe von
der kunstgierigen Masse trennt. Die Mona Lisa ähnele einer Briefmarke. Die Folge sind Wut
und das Bedürfnis, vor dem Salle des États eine Barrikade aus Caravaggios zu
errichten und Emmanuel Macron mit Audioguides zu bewerfen.
Vor dieser Produktenttäuschung muss man die
Mona Lisa retten, dachte sich die Museumsleitung und hat im Prinzip völlig recht
damit. Doch statt es zu lösen, macht sie das Grundproblem nur schlimmer und
kündigte an, die Mona Lisa aus ihrem Ausstellungskontext zu reißen und in einen
Extrasaal im Keller zu verfrachten, der natürlich auch extra kostet. Alles soll
größer, schöner, exklusiver werde. Kannst du das Bild nicht vergrößern, dachte
man sich wohl, vergrößere den Rahmen. Das überzeugt auch Banausen von der
Wertigkeit des Angebots: Drei Erbsen in der Hand sind für sie nicht mehr als
die Summe ihre Teile; auf dem Teller drapiert, glauben sie allerdings, das
Ganze sei Haute Cuisine. Und genau das will man als Louvre sein in den Augen
der Welt. Deshalb wird das Haus bald durchrenoviert für 800 Millionen Euro. Die
Grande Nation braucht einen Tempel. Nie wieder soll es durchs Dach regnen. Nie
wieder dürfen die Polsterinseln Landkarten eingetrockneter Körperflüssigkeiten
sein. Nie wieder!
Die Mona Lisa kann nicht liefern, was man ihr abverlangt
Doch so macht man die Mona Lisa nur noch mehr
zum Opfer der überzogenen Erwartungen des verrückt gewordenen
Massenkultur-Tourismus. Und der meint, dieses Gemälde so gut zu kennen, dass
das Original verglichen mit den Reproduktionen zwangsläufig verliert. Bei
Marcel Duchamp hat ein lustiges Bärtchen, bei Fernando Botero
ist sie adipös. Bei Amazon gibt es sie mit Strapse, als Après-Ski-Häschen, als
Putzfrau mit Klobürste und -rollen. Die ironische Verwurstung erzeugt vielleicht
noch ein müdes Lächeln. Das Gemälde wurde so häufig reproduziert, kopiert und
verwurstet, das Lächeln uns so bekannt und alltäglich geworden, dass das
Original zwangsläufig frustrieren muss, wenn es einen nicht sofort
mit der Aura der Geschichte überwältigt. Man verlangt der Mona Lisa etwas ab, das sie
nicht liefern kann.
Muss das sein? Geht’s nicht anders?
Es geht schon, aber dafür müsste man die
Massen in den Keller sperren und der so nah kommen, dass der Salle des États gleich mit Tränengas geflutet und man von den Special Forces der
Museums-Security getackelt wird. Die Schattierungen, das „“, die
Traumlandschaft, die sich im Hintergrund verliert – das alles ist so fein, das
sieht man nur aus der Nähe. Wäre die Mona Lisa kein Stück Kunst-, sondern
Musikgeschichte, wäre sie leise. Man müsste genau hinhören, um sie nicht zu
verpassen. Es ist ein kleines intimes Bild voller Nuancen, die man nur unter
der Lupe des Experten sieht. Das lässt sich nicht übersetzen in ein Stadion
unter der Erde. Da entzieht es sich und wird unscheinbar. Der Salle des États mit
all den pressenden Bauchtaschen und sausenden Ellenbogen ist ein notwendiger
Puffer gegen die Produktenttäuschung, die dieses Gemälde auslösen muss, das
unspektakulär im besten Sinne ist. Er ruiniert den Mythos der Mona Lisa nicht,
er beschützt ihn.
Und wer wirklich wissen will, was so
besonders ist an diesem Lächeln und am Hintergrund, für den gibt’s im
Museumsshop ja Bücher. Sie zeigen die Mona Lisa von links, von rechts, in aller
Porentiefe. Die Tassen sind auch schick und drucktechnisch genau. Da kann man
rangehen und Leonardos Genie nicht nur sehen, sondern trinken. Der Mona Lisa
würde es gefallen. Seit 500 Jahren erfreut sie sich lächelnd am Gewese über
ihre vermeintliche Größe und Bedeutung. Sie ist so bescheiden, das tut der
Grande Nation ganz gut.