Neue Erkenntnisse rund um den Einsturz der Dresdner Carolabrücke. Offenbar ignorierte die Behörde von Dresdens Baubürgermeister Stephan Kühn (45, Grüne) über Jahre brisante Gutachten zum desolaten Zustand der Brücke und vernachlässigte wichtige Instandhaltungsmaßnahmen.
Das geht aus internen Unterlagen aus dem Dresdner Rathaus im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Einsturzursache hervor, die BILD vorliegen.
Danach präsentierte bereits im Oktober 2022 das Architekturbüro Leonhardt, Andrä und Partner ein dramatisches Gutachten, das die Tragfähigkeit der Brücke infrage stellte.
„Keine ausreichende Druckspannungsfestigkeit“
► Ergebnis damals schon: Für einen 25 Meter langen Abschnitt zwischen den Achsen D und E der Carolabrücke konnte „keine ausreichende Druckspannungsfestigkeit“ nachgewiesen werden.
Konsequenzen in der Stadt? Keine!
► In einem weiteren Gutachten vom 15. April 2024 – durchgeführt im Auftrag der Stadt durch die Firma Saxotest – wurde festgestellt, dass die Korrosion an einigen Stellen so weit fortgeschritten sei, „dass der Querschnitt der Bewehrungsstähle erheblich reduziert wurde“. Im Klartext: die Spannstahl-Stäbe der Konstruktion waren teils komplett weg gegammelt.
► Die Chlorid-Werte überschritten die zulässigen Grenzwerte teilweise um das Zehnfache. Folge: eine ernsthafte Gefährdung der Brückenstruktur. Die festgestellte fortgeschrittene Korrosion wurde als „sehr kritisch“ eingestuft.
„Gelenkdurchbiegung am Gelenk II“
▶ Zudem wurde in einem weiteren Gutachten von 2017 eine „Gelenkdurchbiegung am Gelenk II (Im Bereich des eingestürzten Brückenteils, d. Red.) festgestellt“. Daraus leitete der zuständige Prüfingenieur einen Hinweis auf „eine plastische Verformung“ des Bauwerkes ab.
Maßnahmen der Stadt? Auch dieses Mal keine!
▶ Zudem geht aus den ratsinternen Unterlagen hervor, dass die Hauptuntersuchungen der Brücke (alle drei Jahre durch das Büro J. Paul GmbH, Berlin) seit dem Jahr 2000 stetig zunehmende Mängel aufzeigten.
Ignorierte Gutachten
Empfehlungen zum Beheben der Schäden seien allerdings regelmäßig ignoriert worden. Das wiederum haben zu immer größer werdenden Schäden und immer höheren Instandsetzungskosten geführt – bis die Situation 2014 so kritisch wurde, dass „aufgrund der Vielzahl von Schäden die Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit und Verkehrssicherheit des Bauwerkes nur mit einer umfassenden Grundinstandsetzung sinnvoll ist“.
Angesichts der ignorierten Gutachten und Handlungsempfehlungen stellt sich die Frage nach dem angeblich spontanen und vollkommen überraschenden Einsturz der Carolabrücke komplett neu.