Brüssels Strafzoll-Entscheidung hat viele Verlierer

Die Bundesregierung konnte sich in Brüssel nicht durchsetzen: Trotz Widerstand aus dem Bundeskanzleramt haben die EU-Länder den Weg für zusätzliche Zölle auf Elektroautos aus China frei gemacht. Die Verhandlungsposition der Bundesregierung in Brüssel war aber auch von vornherein geschwächt, da die Koalition in dieser Frage zerstritten war – die Grünen waren für die Zölle, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sein Machtwort gegen sie aus. Bei den Befürwortern von Zöllen, wie Frankreich, wurde die Uneinigkeit auf deutscher Seite mit Verwunderung, aber auch mit Freude zur Kenntnis genommen.

Um die Pläne zu stoppen, wäre eine Mehrheit unter den 27 Mitgliedstaaten nötig gewesen, die bei der Abstimmung am Freitag in Brüssel nach übereinstimmenden Diplomatenangaben aber nicht zustande kam. Lediglich fünf Staaten stimmten gegen höhere Zolltarife, darunter neben Deutschland auch Ungarn und die Slowakei.

Die Zollaufschläge von bis zu 35,3 Prozent – zusätzlich zu dem ohnehin bestehenden Zolltarif von zehn Prozent – sollen spätestens Anfang November greifen. Die letzte Entscheidung liegt bei der EU-Kommission, die in Handelsfragen über sehr viel Macht verfügt. Peking und Brüssel wollen aber in den kommenden Wochen intensiv weiterverhandeln. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.

Grundlage für die Strafzölle sind Vorwürfe der EU-Kommission, Peking verschaffe seinen Autobauern mit übermäßigen Staatshilfen, die die gesamte Lieferkette von Rohstoffförderung bis hin zur Verschiffung in europäische Häfen betreffen, einen unfairen Wettbewerbsvorteil – zum Nachteil europäischer Hersteller.

Je nach Grad der unfairen Handelspraktiken sind die Zölle unterschiedlich hoch. Der chinesische Autobauer Saic muss mit dem Höchstsatz rechnen. Wegen seiner Zusammenarbeit mit dem Konzern muss wohl auch Volkswagen 35,3 Prozent bezahlen. Auf den deutschen Konzern BMW und seinen Joint-Venture-Partner in China dürfte, ebenso wie für den US-Autobauer Tesla, ein Aufschlag in Höhe von 20,7 Prozent zukommen.

Der chinesische Hersteller BYD muss 17,4 Prozent Zoll entrichten, der chinesische Elektroautobauer Geely 19,9 Prozent. Laut Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) wird der Durchschnittszoll bei etwa 31 Prozent liegen.

Anteil von E-Autos dürfte mittelfristig stark abnehmen

Nach Berechnungen des IfW könnten die Zölle auch zu einem Rückgang der Elektroauto-Importe von rund 25 Prozent führen. Die Zahl ist möglicherweise aber zu hoch gegriffen: Denn die Gewinnmargen für chinesische E-Autohersteller sind in Europa so groß, dass sie in den meisten Fällen auch weiterhin am Verkauf ihrer Autos auf dem europäischen Markt verdienen werden.

Die Preise für E-Autos werden aber im Durchschnitt steigen und die Konsumentenrenten dementsprechend sinken. Neben Herstellern wie VW und BMW wären damit also auch die Verbraucher die Verlierer bei den geplanten Zollmaßnahmen – und natürlich auch die Klimatransformation hin zu grünen Technologien und einer Elektrifizierung des Autoverkehrs. Denn der Anteil von E-Autos auf dem europäischen Markt dürfte in der Summe zumindest mittelfristig spürbar zurückgehen.

Unklar ist, wie China reagieren wird. In einer ersten Stellungnahme machte das Land deutlich, an Verhandlungen festhalten zu wollen: „China hofft, dass die EU erkennt, dass die Erhebung von Zöllen kein Problem löst, sondern nur das Vertrauen und die Entschlossenheit chinesischer Unternehmen erschüttern und behindern wird, in die EU zu investieren und mit ihr zu kooperieren“, teilte das Pekinger Handelsministerium mit.

Wahrscheinlich ist dennoch, dass Peking Gegenmaßnahmen einleiten wird, um die Eintrittsbarrieren in den chinesischen Markt für die Europäer zu erhöhen und die Kosten durch Zölle, Importstopps oder Kontingentierungen zu erhöhen.

Entsprechende Verfahren des chinesischen Handelsministeriums wurden bereits eingeleitet: etwa bei Herstellern von besonders großen Verbrennungsmotoren, wie Mercedes und Porsche, aber auch bei Produkten wie Schweinefleisch, Milch und Käse. Demnächst könnte Brandy folgen.

Aber warum will die EU überhaupt Zölle verhängen, wenn es so viele Verlierer gibt? Dahinter stecken auch politische Motive. Viel Druck kam insbesondere aus Frankreich, das um die Zukunft seiner angeschlagenen Auto-Industrie fürchtet. Zudem sind Vergeltungsmaßnahmen und der Ruf nach fairen Spielregeln (‚level playing field‘) politisch populär und könnten den Rechtspopulisten ein wenig Wind aus den Segeln nehmen. Das mag auch EVP-Chef Manfred Weber bewogen haben, sich überraschend für Zölle auf E-Autos einzusetzen.

Brüssel will jedoch auch verhindern, dass sich in der Autobranche eine ähnliche Entwicklung wie in der Solarindustrie, deren Produktion und Arbeitsplätze in der Vergangenheit zunehmend nach China verlagert wurden, nicht wiederholt. Grund für diese Verlagerung war unter anderem die chinesische Subventionspolitik.

Laut EU-Kommission stammen mittlerweile 25 Prozent aller in der EU zugelassenen E-Autos aus Chinas – vor vier Jahren waren es lediglich 3,9 Prozent gewesen. Seit vier Jahren geht auch der Marktanteil der in Europa produzierten Fahrzeuge von 68,9 Prozent auf 59,9 Prozent zurück.

Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über die EU, die Nato und Sicherheits- und Verteidigungspolitik.