Britney war brat

Es ist der 13. November 2003, und Britney Spears sitzt Diane Sawyer gegenüber. Eigentlich wirkt die US-amerikanische Journalistin freundlich. Sie scheint aufrichtig interessiert an Spears – und setzt doch Spitzen, die nicht nur mit 22 Jahren Abstand übergriffig wirken. Britney, fragt sie, sind deine Nägel eigentlich abgekaut? Magst du deine Stimme? Und dieses eine Nacktbild neulich, war das vielleicht das eine Nacktbild zu viel? Als Sawyer darauf hinweist, dass Spears wohl ein recht hartes Jahr gehabt habe, kommen dem Popstar die Tränen. Dennoch zitiert die Journalistin Kendel Ehrlich, damals First Lady im US-Bundesstaat Maryland, die zu Spears‘ vermeintlich schlechtem Einfluss auf junge Amerikanerinnen gesagt hatte: „Wenn ich die Möglichkeit hätte, Britney Spears zu erschießen, würde ich es wohl tun.“ Spears reagiert nach einer kurzen Pause: „Das ist fürchterlich, das ist wirklich schlimm“, sagt sie. „Ich bin nicht die Babysitterin ihrer Kinder.“

Nur ein Interview, klar. Aber es markiert einen Kipppunkt in der Karriere der US-amerikanischen Musikerin aus Louisiana, die in den Jahren davor, seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums (1999), zum größten Popstar der Welt aufgestiegen war.

Der entscheidende Baustein dieses Aufstiegs war Spears‘ zweites Album , veröffentlicht im Mai 2000. Mit gerade einmal 18 Jahren vermittelte sie darauf ein im Teenie-Pop neues Gefühl der sexuellen Selbstbestimmung. Das Titelstück, in dem sich Spears zugleich als Herzensbrecherin und Unschuld vom Lande präsentierte, wurde zu einem riesigen Hit, die Platte verkaufte sich weltweit über 20 Millionen Mal und steht heute genauso repräsentativ für die Popkultur der frühen Nullerjahre wie Hüftjeans, Klapphandys und Reality-TV.

Dieser Tage ist eine Neuauflage zum 25. Geburtstag erschienen. Obwohl die Produktion des schwedischen Hitlieferanten Max Martin und vieler anderer damaliger Größen sehr in ihrer Zeit verhaftet ist, erkennt man immer noch, was damals den Reiz von ausmachte. Teile des Albums klingen heute sogar wie Vorahnungen: Weiß man um den weiteren Verlauf von Spears‘ Karriere, erzählen Stücke wie oder, die eigentlich angelegt waren als Songs über jugendliche Resilienz, von einer Frau, der später jede Autonomie genommen wurde.

Die Trennung von Justin Timberlake markierte 2002 für Spears den Abschied von einer Phase relativer Unschuld. 2004 heiratete sie in Las Vegas Jason Alexander, einen Kindheitsfreund, 55 Stunden später wurde die Ehe annulliert. Es war der Beginn jener Jahre, in denen sich Spears‘ Leben kaum noch von dessen medialer Erzählung trennen ließ. Fotografen folgten ihr von der Haustür bis ins Nachtleben, verkauften ihre oft unvorteilhaften Bilder an Klatschmagazine und trugen gemeinsam mit diesen zum Bild einer jungen Frau bei, die sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben schien.

Spears führte eine sehr öffentliche, immer wieder turbulente Beziehung mit dem Tänzer Kevin Federline, aus der zwei Kinder hervorgingen. Im Jahr 2007 rasierte sie sich nach einer weiteren Nacht mit fotografischer Hetzjagdbegleitung die Haare ab, auch darüber berichteten damals junge Websites wie und der Blogger Perez Hilton mit einer Clickbait-trächtigen Mischung aus Empörung und scheinbarem Mitgefühl. 2008 wurde Spears schließlich unter die rechtliche Betreuung ihres Vaters gestellt. Ein Gericht hatte entschieden, dass die damals 26-Jährige nicht mehr in der Lage sei, selbst über ihre Karriere, ihre Finanzen, eigentlich ihr ganzes Leben zu bestimmen. Erst 2021 wurde diese rechtliche Betreuung aufgehoben. Mit 39 Jahren wurde Spears wieder zur mündigen Frau.

Während die Musikerin seitdem vor allem mit einem unterhaltsamen Instagram-Account in Erscheinung getreten ist, haben Ästhetik und Sound ihres zweiten Albums ein erstaunliches Comeback im Pop der Gegenwart gefeiert. Sabrina Carpenter, deren Karriere wie die von Spears im Disney-Kosmos begann, klingt zwar moderner als – Jack Antonoff, der auch mit Lana Del Rey oder Taylor Swift kooperiert, produziert viele ihrer Songs. Auf dem Cover ihres aktuellen Albums räkelt sie sich aber in einer Old-School-Pose, die auch zur jungen Spears gepasst hätte. Wie diese macht Carpenter außerdem das Beste aus einer Stimme, die kaum über Distinktionsmerkmale verfügt. Beide ziehen die Vokale gern in die Länge, das fällt bei Carpenter besonders dann auf, wenn auch der Sound am Pop der frühen Nullerjahre geschult erscheint, etwa in .

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