Bleibt anders

Die Frage ist ja nicht nur, wer etwas sagt, sondern auch, wann es gesagt wird. Eine lautstarke Klage über den Aggressor Israel, in Deutschland ausgesprochen, klingt heute zum Beispiel ganz anders als im Frühjahr 2024. Inzwischen erscheinen Leitartikel zum Leid in Gaza, die noch vor wenigen Monaten, Wochen gar, undenkbar gewesen wären: „Schluss mit dem deutschen Rumgedruckse“, forderte zuletzt etwa der . Und schloss den Text so: „Das deutsche Schweigen zu Gaza geht in die Geschichte ein. Jetzt geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Besser spät als nie.“ Auch ZEIT ONLINE und DIE ZEIT explizierten jüngst, was in Deutschland immer noch und immer wieder schwer zu sagen fällt: Was Israel macht, geht nicht. Punkt.

Aber ist es deshalb auch falsch, dass es schwerfällt? Und ab wann eigentlich genau?  

Es ist ein guter Zeitpunkt, daran zu erinnern, welchen Weg der deutsche Diskurs über Israel und Palästina in den vergangenen anderthalb Jahren zurücklegen musste, seit am 7. Oktober 2023 Hamas-Terroristen in Israel mordeten, schändeten und verschleppten – und welches Schweigen in ihm dabei noch nachhallt. Erinnern wir uns exemplarisch: Im November 2023 gab der Pianist Igor Levit der ZEIT ein Interview. Levit – Jude, Linker, gewiss kein Fan der Netanjahu-Regierung – sagte damals, dass er sich in Deutschland „so allein wie noch nie fühle“. Einen knappen Monat später sagte auch Meron Mendel, gebürtiger Israeli und als Leiter der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank so etwas wie der progressive Stachel im Fleisch des eher konservativen Zentralrats der Juden in Deutschland, ihm habe „die Solidarität in der deutschen Gesamtbevölkerung“ gefehlt.   

Man findet noch viele solcher Stimmen jüdischer Deutscher oder in Deutschland lebender Israelis, die nach dem 7. Oktober ein Entfremdungserlebnis hatten, weil es um sie herum seltsam still blieb, weil keine Großdemos durchs Land zogen und – zumal in linken Kreisen – keine Freunde signalisierten, dass sie ohne Wenn und Aber an ihrer Seite waren, derweil die Zahlen antisemitischer Gewalttaten weltweit stiegen. Beziehungsweise signalisierten viele auch ganz deutlich, dass sie eben nur mit Wenn und Aber an irgendjemandes Seite waren. In den Momenten nach dem 7. Oktober blieben sie zunächst stumm, um schnell umso lauter zu kritisieren, als Israel zum Gegenangriff überging.   

Das alles darf niemals aufgerechnet werden gegen das Leid, das die palästinensische Zivilbevölkerung gerade im Gazastreifen erlebt, verursacht von der israelischen Regierung und dem israelischen Militär. Es darf aber sehr wohl in Beziehung gesetzt werden zu dem, was gerade in Deutschland daraus gemacht wird, nämlich ein Fanal für eine erinnerungspolitische Wende. „Wir alle müssen offener und frei vom Würgegriff der Kollektivschuld über das israelische Unrecht in Gaza sprechen“, schreibt da etwa ein Reporter des . Und auch er verweist – wie die Autorin des – auf das gemeinsame Statement der Regierungen von Frankreich, Kanada und Großbritannien aus der letzten Woche, in dem der israelischen Kriegsführung in Gaza aufs Schärfste entgegengetreten wird. Die Forderung ist klar: Deutschland möge sich hineinnormalisieren in den Kreis der Länder, mit dem es sonst die wesentlichen Werte teilt. Aber geht das so einfach?  

Schließlich wird man auch in der derzeitigen Diskursverschiebung das Gefühl nicht los, dass eine Normalität in Deutschland in Bezug auf Israel ohnehin nicht zu haben ist. Viel zu eruptiv stoßseufzert es in allen Kommentarspalten „Endlich“ oder schimpft es auch „Viel zu spät“, wenn nun auch konservative Politiker und liberale Leitmedien verstärkt darauf hinweisen, dass ein Land (und warum sollte man hier nicht wie in so vielen anderen Fällen Land und Regierung synonym nehmen?) in einem Krieg jedes Maß und jedes Ziel aus den Augen verloren hat. Und dass es dabei ist, Schuld auf sich zu laden – und mit ihm alle, die sich als Verbündete begreifen, zuvorderst Deutschland, im Schatten seiner Staatsräson rund um das Existenzrecht Israels. 

Deshalb sagte zuletzt sogar der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein in einem Interview mit der : „Die Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich dramatisch zu verschlimmern, hat nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun. Und es kann auch nicht deutsche Staatsräson sein.“ 

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