Vor fünf Tagen ist die Ampelkoalition zerbrochen, und schon jetzt gibt es vier verschiedene Soundtracks dazu. Bundeskanzler Olaf Scholz preschte vor wie ein Battlerapper, indem er erst seinen Finanzminister Christian Lindner entließ und dann in einer 14-minütigen Generalabrechnung auch noch persönlich angriff. Wo war dieser Auf- und Abräumer in den letzten drei Jahren, fragten sich da viele. Lindner antwortete „sichtlich angefasst“, wie es immer so schlimm heißt: Seine erste Rede als gefeuerter Minister erinnerte an jene Emo-Songwriter aus den Nullerjahren, die allzu selbstherrlich an der Ungerechtigkeit der Welt und ihrer Frauen verzweifelten. Heul leiser, dachten da wiederum viele.
Das erste Video des neuen Wahlkampfs veröffentlichte einen Tag später der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck. Den unter Politikern außerordentlich beliebten Song von Herbert Grönemeyer pfiff er in diesem Clip – nachdem er vorher leider auch darauf gepfiffen hatte, den Musiker um Erlaubnis für die Verwendung seines Stücks zu bitten. Grönemeyer widersagte und räumte damit die Bühne frei für den ehemaligen Justizminister Marco Buschmann. Dessen Eigenkomposition bringt noch mal einen ganz neuen Sound in die Debatten ums Ampel-Aus.
Seit mehr als zehn Jahren veröffentlicht Buschmann Musik, 56 Tracks finden sich aktuell von ihm auf der Plattform Soundcloud, wo er als MBSounds aktiv ist. Der Künstlername mag an eine halbherzig gegründete Holdinggesellschaft erinnern und damit allzu offensichtlich sein für das Hobbyprojekt eines FDP-Politikers. Die Kompositionen aber überraschen zumindest durch ihre stilistische und inhaltliche Bandbreite. Buschmann kombiniert robuste Kickdrums und Viervierteltakte mit New-Age-Klängen, deren Zielgruppe man eher in regierungsfernen Kreisen vermuten würde. Alternative Vertonungen der Artus-Sage stehen neben Politthrillern, die er direkt aus dem Leben greift. Sein bis heute größter Hit (134.000 Klicks) ist die musikalische Adaption einer von Christian Lindner aus dem Jahr 2015, dramaturgisch nicht unsmart umgesetzt als Acid-House-Track.
Buschmanns zweitgrößter Hit ist schon jetzt . Mehr als 85.000 Zugriffe sind bereits zustande gekommen, statistisch gesehen hat jedes FDP-Mitglied das Stück bereits einmal gehört und ein paar Tapfere sogar zweimal. Unerwartet feierlich beginnt es mit Klavier und Orgel, die Buschmann vermutlich nicht an echten Instrumenten, sondern mit der Tastaturerweiterung seines iPads eingespielt hat. Coldplay-Songs gehen manchmal so los, und auch ein Lied für den nächsten Weihnachtswerbespot von Coca-Cola wäre in diese Richtung denkbar. Erst mit einem Männerchor-Sample, das bei Sekunde 17 einsetzt, erreicht jedoch eine Flughöhe, die der Regierungskrise angemessen erscheint. Man kannte dieses Dramalevel von der Ampel, nicht aber den mahnenden Unterton. Unverständlich bleibt der Gesang des Chors – als wollte Buschmann daran erinnern, dass auch die ewigen Koalitionsstreitigkeiten irgendwann nicht mehr nachvollziehbar waren für die einfachen Bürgerinnen und Bürger.
Umso überraschender kommt der nächste U-Turn von . Noch keine Minute ist vergangen, da öffnet Buschmann das Stück für ein Zwischenspiel und alle Schleusen für den persönlichen Schmerz, den er im Angesicht seiner Zwangsrückkehr in die freie Wirtschaft zu spüren scheint. „Manchmal muss man etwas aufgeben, das man liebt, um zu bleiben, wer man ist“, heißt es in einer Notiz zur Komposition – und was bringen die 29 Synthietöne des Zwischenspiels zum Ausdruck, wenn nicht genau dieses Dilemma der liberalkonservativen Lebensbewältigung? Buschmann variiert sie später noch einmal als Gitarrensolo mit seltsam verbogenem Klang. Ein Hinweis vielleicht auf die Gitterstäbe des Regierungsgefängnisses, die nun endlich auseinandergestemmt sind.
Eine Befreiung ist also, und damit wohl das Größte, was man von der Musik eines FDP-Politikers erwarten kann. Der Track wirkt auch über die Kreise der Freien Demokraten hinaus, er könnte jene Menschen für die Berliner Blase zurückgewinnen, denen es dort schon seit Längerem zu mackerhaft zugeht. Der Platzhirschrede, mit der Scholz den Rauswurf Lindners begründete, stellt Buschmann jedenfalls versöhnliche Töne entgegen. Die persönliche Kränkung seines Parteichefs ersetzt er durch einen Sound, in dem Selbstkritik- und -zweifel anklingen. Hätte es mehr davon gegeben in der Koalition, gäbe es vielleicht noch immer eine funktionierende Regierung in Deutschland. gäbe es dann allerdings nicht, und das wäre doch auch sehr schade.