„Belegt die Inkompetenz der AfD in diesem Feld“ – Industrie kontert Höcke-Äußerungen

Unternehmer und Wirtschaftsverbände liefern sich im Vorfeld der Landtagswahl in Thüringen eine offene Auseinandersetzung mit dem dortigen AfD-Chef Björn Höcke.

Der Spitzenkandidat der in dem ostdeutschen Bundesland als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Partei wettert gegen eine Gruppe von Familienunternehmen, die kürzlich die Initiative „Made in Germany – Made by Vielfalt“ gestartet hatten, die sich nach eigenen Angaben für demokratische Werte und gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzt.

„Ich hoffe, dass diese Unternehmen in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen“, sagte Höcke zuletzt auf einer Wahlkampfveranstaltung in Sömmerda. „Unternehmen sollten einfach mal die Klappe halten, wenn es um Politik geht.“

Nun reagiert die Wirtschaft von höchster Stelle auf die Anfeindungen. „Die Äußerungen von AfD-Spitzenvertretern in den vergangenen Tagen sind für die Wirtschaft alarmierend“, sagt Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), gegenüber WELT.

„Dass jemand, der Ministerpräsident werden möchte, den erfolgreichen und standorttreuen mittelständischen Unternehmen wirtschaftlichen Schaden wünscht, belegt die Inkompetenz der Partei in diesem Feld. Diese Ausfälle zeigen einmal mehr, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD Wirtschaft und Wohlstand in Ostdeutschland massiv schaden würde.“

Die Partei stelle sich zu Unrecht als Stimme der mittelständischen Wirtschaft vor Ort dar. „Viele AfD-Forderungen sind auch für kleine Unternehmen und Gewerbetreibende eine echte unternehmerische Bedrohung.“

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sieht nach den Verwünschungen „ein merkwürdiges Verständnis von Standortsicherung“ bei Höcke. „Björn Höcke und seine Leute sind laut, wenn es gegen Schwächere geht, aber werden im rauen Wind der Realpolitik schnell die Segel streichen“, sagt VDMA-Präsident Karl Haeusgen.

„Wo kommen die Menschen her, die zukünftig Arbeit und Wachstum sichern? Er weiß es nicht. Wo kommen die Menschen her, die die Infrastruktur bauen, modernisieren, instand halten? Er weiß es nicht. Was braucht der Mittelstand, um weiterhin Arbeit und Wohlstand zu sichern? Er weiß es nicht. Höcke will als Macher auftreten, aber er ist ein Jammerer ohne inhaltliche Kraft.“

Der VDMA spielt damit auf den stetig steigenden Bedarf an Arbeits- und Fachkräften aus dem Ausland an, der sich allein schon durch die demografische Entwicklung in Deutschland ergibt. Und der betrifft auch Thüringen in erheblichem Maße, wie Erhebungen des BDI zeigen.

„Prognosen gehen für 2035 von 250.000 fehlenden Fachkräften in Thüringen aus“, meldet die Spitzenorganisation der Industrie. Verbandspräsident Russwurm warnt dementsprechend vor Populismus.

„Die aggressive Ausländerfeindlichkeit der AfD droht das bestehende Problem des Fachkräftemangels in Deutschland zu verschärfen. Wir brauchen ein weltoffenes Klima und eine Willkommenskultur für ausländische Arbeitskräfte, auf die wir dringend angewiesen sind. Die AfD-Rhetorik sorgt für das Gegenteil“, so der BDI-Präsident.

Widerspruch bekommt Höcke aber auch auf lokaler Ebene. So gehört der Verband der Thüringer Familienunternehmen zu den Gründungsmitgliedern der Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“. „Herr Höcke hat die Maske fallen lassen und zeigt, wie seine Partei mit Meinungen umgehen will, die ihm nicht genehm sind“, sagt Colette Boos-John, die Landesvorsitzende der Familienunternehmer in Thüringen.

„Mit seinen Verwünschungen will er den Familienunternehmern die Existenz zerstören, aber offensichtlich wird, wie wirtschaftsfeindlich die AfD ist: Denn wenn Unternehmen in schwere Turbulenzen geraten, sind immer auch die Beschäftigten vor Ort die Leidtragenden.“ Die Unternehmen vor Ort würden sich von der AfD ihre Meinung aber nicht verbieten lassen und auch nicht, wie von Höcke gefordert, die Klappe halten.

Tatsächlich hat sich die Zahl der teilnehmenden Unternehmen an der Kampagne zuletzt nochmal deutlich erhöht. Waren es zum Start am 19. August gut 40 Betriebe, sind es mittlerweile fast 80.

„Es freut mich, dass die Initiative so viel Aufmerksamkeit erfährt und einen Beitrag zur Diskussion im Lande leistet“, sagt Initiator Timm Mittelsten Scheid gegenüber WELT. „Dass so viele Familienunternehmen in den letzten Tagen hinzugekommen sind und offen unser Anliegen unterstützen, zeigt wie sehr sich Unternehmer um unsere Demokratie und den Wirtschaftsstandort Deutschland sorgen“, erklärt der Unternehmer, der Gesellschafter und Mitglied des Beirats von Vorwerk ist.

„Ich glaube, dass viele, teils auch heftige Reaktionen auf unsere Kampagne den Bürgern und Wählern eine gute Orientierung zu den potenziellen wirtschaftlichen Folgen der unterschiedlichen Standpunkte ermöglicht.“

Zu den Unternehmen, die sich an der Kampagne beteiligen, gehören etliche kleine und große Familienunternehmen, oftmals mit sehr bekannten Namen wie zum Beispiel Rossmann, Miele und Stihl, Claas, Edding und Fischer, Fiege, Sennheiser oder auch Schwartau, Trigema und Voelkel.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und Mittelstandsunternehmen.