Mit dem Beginn der Warnstreiks bei Volkswagen werden die gegenseitigen Vorwürfe im Tarifkonflikt drastischer. Auf einer Kundgebung im Stammwerk Wolfsburg kritisierte Betriebsratschefin Daniela Cavallo die Unternehmensführung scharf, besonders den Chef der Marke VW, Thomas Schäfer. Außerdem forderte sie die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch zu einem Dividendenverzicht auf. „Wir verlangen, dass alle ihren Beitrag leisten. Auch der Vorstand. Und eben auch die Aktionärsseite“, sagte Cavallo laut Redetext.
Noch schärfer ging der Verhandlungsführer der IG Metall in den Tarifgesprächen, Thorsten Gröger, das Management an. Die „Boss-Etage“ habe im Kapitalmarktfieber einen falschen Weg eingeschlagen, sagte er. „Die Aktionäre profitieren, die Beschäftigten zahlen die Zeche – diese Rechnung machen wir nicht mit.“
Cavallo und Gröger kritisierten ausführlich die Aussagen von Schäfer in einem Interview mit WELT AM SONNTAG. Darin hatte er bekräftigt, dass der Vorstand des Unternehmens Werke in Deutschland schließen will und Kündigungen notwendig sein könnten.
Nun gehörten Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen zum Programm des Vorstands, sagte Cavallo. Man werde „jetzt kämpfen und Zähne zeigen“. Der Vorstand solle wissen: „Durch die Krise geht es bei VW immer nur mit der Belegschaft. Und nicht gegen sie.“
Seit Montagfrüh laufen an allen Standorten von Volkswagen in Deutschland Warnstreik-Aktionen der IG Metall. Den Anfang machten Beschäftigte des Werks in Zwickau, die um 9.30 Uhr die Arbeit niederlegten. Danach folgten alle weiteren Standorte um 10 Uhr. Spät- und Nachtschichten werden ausfallen, die Gewerkschaft hat „Frühschluss-Aktionen“ angekündigt.
Die gesetzlich festgelegte Friedenspflicht in den Tarifverhandlungen ist am 30. November ausgelaufen. Nun droht die IG Metall mit massiven Streiks. „Wenn nötig, wird das der härteste Tarifkampf, den Volkswagen je gesehen hat“, sagte Gröger am Wochenende.
Zugleich besteht auf beiden Seiten die Hoffnung, noch vor Weihnachten einen Kompromiss zu finden. Am 9. Dezember treffen sich Unternehmen und Gewerkschaft zur nächsten Runde.
Die Positionen in den Verhandlungen liegen noch weit auseinander. Den Vorschlag der Gewerkschaft, die Tariferhöhung aus dem Flächentarifvertrag zu übernehmen, zunächst aber nicht auszuzahlen, lehnte das Unternehmen am Freitag öffentlich ab. Die IG Metall hatte die Einsparungen durch ihr Konzept, das auch flexible Arbeitszeitkonten vorsieht, auf 1,5 Milliarden Euro beziffert. Auch Sicht von VW wird diese Summe durch die Vorschläge wohl nicht erreicht.
Andererseits drohen VW im kommenden Jahr deutliche Steigerungen bei den Personalkosten, sollte es zu keiner Tarifeinigung kommen. Weil das Unternehmen die 30 Jahre alte Beschäftigungssicherung gekündigt hat, wird mit deren Ende im Juli ein sogenannter Schattentarif in Kraft treten. Grundlage dafür ist ein Vertrag von 1994, in dem die Belegschaft auf zehn Prozent ihres Lohns verzichtete und das Unternehmen im Gegenzug betriebsbedingte Kündigungen ausschloss.
Mit dem Ende des Kündigungsschutzes würden auch die höheren Gehälter fällig, die über die Jahre auf dem Papier stets angepasst wurden. Diese Steigerung würde Volkswagen laut einem Bericht des „Handelsblatts“ zwischen einer und zwei Milliarden Euro kosten.
Dafür wäre wohl auch eine entsprechend hohe Rückstellung nötig, sollte sich keine Einigung in den Verhandlungen abzeichnen. Die ohnehin angespannte finanzielle Lage würde sich weiter verschärfen.
Die nächste Etappe im Konflikt um die Zukunft von Volkswagen in Deutschland ist eine Betriebsversammlung am Mittwoch in Wolfsburg. Dort wird der Vorstand seine Pläne erläutern müssen. Gröger warf ihnen vor, sie hätten „keine Courage, selbst vor die Mannschaft zu treten“ um ihre „Giftliste“ zu präsentieren. Tatsächlich sind die Abbau-Pläne bisher vor allem vonseiten der Arbeitnehmervertreter an die Öffentlichkeit getragen worden.
Auf der Betriebsversammlung soll auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprechen, ein Auftritt, der schon vor der aktuellen Krise ausgemacht war. Seine Rede wird mit Spannung erwartet. Bisher hat sich Bundesregierung mit konkreten Aussagen zu VW, vor allem mit Unterstützungsangeboten zurückgehalten. Dass er sich auf die Seite des Managements schlägt, ist nicht zu erwarten. Heils Wahlkreis liegt in unmittelbarer Nachbarschaft von Wolfsburg.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie.