Sie sieht idyllisch aus, doch ein Bad in der Seine bei Paris ist weiterhin nicht zu empfehlen – das haben die gesundheitlichen Probleme einiger Freiwasserschwimmer bei den Olympischen Spielen gezeigt. Dabei hat die französische Hauptstadt in den vergangenen Jahren 1,4 Milliarden Euro investiert, um die Seine für die Spiele fit zu machen und ein jahrzehntealtes Versprechen einzulösen.
Denn ab 2025 soll – zumindest an ausgewählten Stellen – das Baden in dem Fluss wieder möglich sein. Nicht nur in Paris bleibt bis dahin noch viel zu tun. Von ihrem erklärten Ziel, einen „guten ökologischen und chemischen Zustand“ aller Gewässer zu erreichen – ein Vorhaben, das bereits aus dem Jahr 2000 rührt – ist die EU noch immer weit entfernt.
Ursprünglich sollte das Ziel bis 2015 erfüllt sein, die finale Frist läuft 2027 ab. Dass es bis dahin europaweit tatsächlich nur noch saubere, ökologisch intakte Flüsse und Bäche gibt, ist utopisch.
„Trotzdem ist das Nullschadstoffziel der EU wichtig, schon allein mit Blick auf die Trinkwassersicherheit der Bürger“, sagt Dietrich Borchardt, Hydrologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg, das kürzlich eine umfassende Studie zur Gewässerqualität in Europa vorgelegt hat. „Allerdings wird das nur gelingen, wenn man das Verursacherprinzip stärker in den Vordergrund rückt. Man muss sich vorher überlegen, welche Stoffe man überhaupt in die Umwelt entlässt, denn früher oder später landen sie alle im Wasserkreislauf.“
Vor allem Arzneimittel und Industriechemikalien sind ein Problem, weil sie mit den herkömmlichen mechanischen, biologischen und chemischen Methoden nicht vollständig aus dem Abwasser gefiltert werden können. Manche von ihnen, allen voran die sogenannten Ewigkeitschemikalien, bauen sich zudem über die Zeit kaum ab und reichern sich dadurch in der Umwelt an.
Zusammen mit Pestiziden aus der Landwirtschaft, aber auch beispielsweise dem Reifenabrieb von Straßen, Bioziden von Dächern und Fassaden, Haushaltschemikalien und Körperpflegeprodukten, gelangen all diese Stoffe über den Kläranlagenablauf, Niederschläge und Bodenerosion in Bäche, Flüsse und schließlich das Meer.
Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu europaweit sauberen Gewässern soll in Kürze in Brüssel final verabschiedet werden: die EU-Kommunalabwasserrichtlinie. Sie sieht vor, dass bestimmte Kläranlagen bis zum Jahr 2045 mit einer sogenannten vierten Reinigungsstufe ausgerüstet werden. Gemeint sind damit spezielle Verfahren wie der Einsatz von Aktivkohlefiltern und Ozon, um deutlich mehr Chemikalien als bisher aus dem Abwasser zu filtern.
In Deutschland hat sich die Gewässerqualität in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwar verbessert. Wirklich gut geht es aber nur den wenigsten der rund 9000 Bäche und Flüsse. Gerade einmal acht Prozent der deutschen Fließgewässer befinden sich laut Umweltbundesamt in „gutem oder sehr gutem ökologischem Zustand“, womit gemeint ist, dass sie frei fließen können und Lebensraum für eine große Vielfalt von Tieren und Pflanzen bieten.
Bei 36 Prozent ist der Zustand nur „mäßig“, bei 35 Prozent „unbefriedigend“ und bei 19 Prozent von ihnen sogar „schlecht“. Einen guten chemischen Zustand erreicht kein einziges Fließgewässer hierzulande. „Deutschland ist ein bevölkerungsreiches Land mit hoher Industriedichte und intensiver Landwirtschaft, fast alle Flüsse sind begradigt und gestaut – im Vergleich zu manchen dünnbesiedelten Ländern in Europa schneidet Deutschland da natürlich schlecht ab“, sagt Borchert.
Bei der Anbindung der Bevölkerung an die öffentliche Kanalisation gehört das Land mit seinen 8891 Kläranlagen und 608.000 Kilometern Abwasserkanälen dagegen mit einer Quote von 97 Prozent seit Langem zu den Spitzenreitern. Allerdings ist bisher nur ein kleiner Teil der Kläranlagen, nämlich rund 400, in der Lage, die vierte Reinigungsstufe durchzuführen.
Eine Studie des Verbands kommunaler Unternehmen hat errechnet, dass der gestaffelte Ausbau weiterer Kläranlagen in Städten ab 150.000 Einwohnern und in bestimmten Risikogebieten bis zum Jahr 2045 knapp 9 Milliarden Euro kosten wird. An den Kosten der aufwendigeren Abwasserbehandlung sollen sich die Hersteller von Pharmazeutika und Körperpflegeprodukten nach dem Willen der EU-Kommission künftig beteiligen.
Laut VKU dürften diese in der finalen Ausbaustufe bei rund 860 Millionen Euro jährlich liegen. „Vor diesem Hintergrund dürfte der Anreiz für Hersteller steigen, weniger gewässerbelastende Produkte zu entwickeln. Was gar nicht erst im Wasser landet, muss später auch nicht mühsam herausgefiltert werden“, sagt Borchardt.
Doch auch die Verbraucher stünden in der Verantwortung. „Es liegt an uns, den Abfluss und die Toilette im Haus nicht als Müllkippe und zur Schadstoffentsorgung zu missbrauchen und bewusste Kaufentscheidungen zu treffen, damit möglichst wenig Schadstoffe im Wasser landen.“
Anja Ettel ist Korrespondentin für Wirtschaft und Finanzen in Frankfurt. Sie berichtet über die Pharma- und Chemieindustrie, Biotechnologie, Konjunktur und Geldpolitik. Sie ist außerdem Co-Host des WELT-Podcasts „Alles auf Aktien“.