Harald Christ (53) ist ein Unternehmer, Politiker (ehemals FDP, davor SPD), Aufsichtsrat und Stifter. Er gründete das Berliner Beratungsunternehmen Christ & Company Consulting. Für BILD hat er folgenden Gastbeitrag geschrieben:

„Den Druck der trüben Zeit muss man nun tragen; was man fühlt, sprechen, nicht, was man sollte, sagen.“

Shakespeare, König Lear, V. Akt

Es ist in diesen Tagen nicht ganz leicht, die richtigen Worte zu finden, um die destruktive Dynamik zu beschreiben, mit der die Welt auf eine schwere Wirtschaftskrise zugetrieben wird. Die Begriffe „Zeitenwende“ und „Weckruf“ sind längst verbraucht. Donald Trump hat in den wenigen Monaten seiner zweiten Amtszeit praktisch im Wochentakt Dystopien ausgelöst, seine politische Rambo-Truppe agiert wider alle Vernunft und allen Anstand. Die Ankündigung neuer Zölle – de facto die Erklärung eines globalen Handelskrieges – ist da nur der jüngste und, so ist zu befürchten, nicht der letzte Akt der Tragödie.

Von dieser Entwicklung konnte nur überrascht werden, wer nicht hören, sehen, wissen wollte. Denn Trump hat jede seiner wahnwitzigen Ideen als Versprechen im Wahlkampf vor sich hergetragen. So gesehen besteht die bittere Pointe darin, dass ein demokratisch gewählter Präsident lediglich das umsetzt, was er seinen Wählern versprochen hat. Rücksichtslos ohne Sinn und Verstand.

Gleichviel – es kommt nun entscheidend darauf an, wie wir in Deutschland, wie unsere Partner in Europa auf die neue Situation reagieren.

Dass sich die Politik in Deutschland in diesen Tagen gerade in einer Phase von Übergang und Neubestimmung befindet, ist dabei Risiko und Chance zugleich:

► Risiko, weil derzeit nur eine geschäftsführende Regierung im Amt ist, die nur mit eingeschränkter Autorität agieren kann.

► Chance, weil die noch laufenden Verhandlungen über eine neue Koalition die Möglichkeit bieten, Schlussfolgerungen aus den neuesten Verwerfungen zu ziehen und Pläne anzupassen.

Was die Stunde geschlagen hat

Das beginnt damit, klar und deutlich auszusprechen, was ist: Wenn Trump Zölle gegen Mini-Staaten oder unbewohnte Inseln verhängt, dann mag das skurril sein oder einfach nur irre. Wenn hingegen der Warenverkehr mit der Ukraine mit Strafzahlungen belegt wird, der mit Russland aber nicht, dann zeigt das mehr als deutlich, wes Geistes Kind diese US-Administration ist.

Sodann geht es um die richtigen Präferenzen: Wer jetzt noch – wie die CSU in den Verhandlungen – die Themen Gastrosteuer und Mütterrente zu Essentials erklärt, der hat offenbar noch immer nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Auf dem Spiel steht nicht das Wohl bayerischer Wirte, sondern der Wohlstand und die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.

Weil die Trump-Regierung rationaler Vernunft nicht zugänglich erscheint, müssen Deutschland und die EU sich für die von den USA immerhin in Aussicht gestellten Zollverhandlungen mit schlagkräftigen Argumenten wappnen. Da reicht die Drohung mit Zöllen auf Nischenprodukte wie Harley-Davidson-Motorräder und Bourbon-Whiskey nicht aus. Gewichtiger sind da schon Überlegungen, in Europa erzielte Werbeeinnahmen der US-Tech-Riesen zu besteuern – was im Übrigen die Frage aufwirft, warum das nicht längst geschieht.

Parallel dazu, und das ist die andere Seite der Medaille, muss das Tempo, mit dem wir im Sinne der Resilienz eigene Strukturen aufbauen und fortentwickeln, erheblich gesteigert werden. Das Ziel digitaler Souveränität ist hier genauso wichtig wie die Erschließung und der Ausbau alternativer Absatzmärkte.

Es ist Dynamik gefordert!

Um es klar zu sagen: Dies alles erfordert auf allen Ebenen eine administrative Dynamik, von der wir noch immer meilenweit entfernt sind! Gleiches gilt für die Stärkung des Standortes Deutschland für ausländische Investitionen, eine Währung, die in den kommenden Jahren noch deutlich wichtiger werden wird als bisher schon. Es mag sich noch als segensreich erweisen, dass gerade jetzt mit dem Sondervermögen Infrastruktur zusätzliche Mittel bereitstehen.

► Allerdings: Ohne rasante Beschleunigung von Abläufen und Verfahren zur praktischen Umsetzung von entsprechenden Projekten wird diese Wirkung teilweise verpuffen.

Gelingen kann dieser Prozess jedoch nur, wenn die Wählerinnen und Wähler verstehen, wozu, warum – und wie es ihren individuellen Interessen dient. Die jüngsten Umfragen, die für die Union einen nur noch geringfügigen Vorsprung vor der populistischen und in Teilen rechtsextremen AfD zeigen, geben in dieser Hinsicht bisher noch keinen Grund zu übertriebenem Optimismus.

Und was passiert, wenn sich eine Mehrheit von der Politik des liberalen Rechtstaates abwendet, ist auch in Europa allenthalben zu beobachten. Auch wir Deutsche haben da – zu erinnern ist an die beiden Reichstagswahlen vom Juli und November 1932 – einschlägige Erfahrungen.

Die Herausforderungen für Europa und Deutschland

Eine liberale Demokratie, auch das ist eine Lehre aus dem aktuellen Trump-Furor, ist kein natürlicher Ziel- und Endpunkt der politischen Evolution. So wie eine jahrzehntelang einwandfrei funktionierende Körperzelle sich plötzlich in ein aggressives Karzinogen verwandeln kann, können dies Parteien und Gesellschaften auch – im Letzten mit dem Ergebnis, eine Demokratie mit demokratischen Mitteln zu beseitigen. Für Generationen war das in (West-)Europa eine rein theoretische Gefahr.

Heute ist sie real!

Dies alles stellt Europa, Deutschland und die künftige Bundesregierung vor schwer kalkulierbare Herausforderungen. Dabei startet die neue Koalition ähnlich wie die Ampelregierung 2022 seinerzeit infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine ebenfalls mit einer schweren Hypothek, die von außen aufgezwungen wurde – auch wenn heute noch kaum absehbar ist, wie zerstörerisch sich der in Washington ausgelöste Zoll-Tsunami auswirken wird.

Bleibt die Hoffnung, dass die künftigen Regierenden die richtigen Lehren aus den Fehlern ihrer Vorgänger ziehen!