Wie eine Geburt
abläuft, ist nun wirklich kein Geheimnis mehr. Das Leben selbst birgt
vielleicht noch einige Geheimnisse, aber im Grunde genommen sind wir im Bilde.
Dann kommt der Tod. Und dann die Auferstehung. Auferstehung ist gar nicht so
schwer. Anders als bei der Geburt muss man nicht einmal richtig mitmachen, und
das Beste: Man kriegt keinen Klaps auf den Hintern.
In seinem Roman , erstmals erschienen im französischsprachigen Original im Jahr
1921 unter dem Titel , beschreibt der Schweizer Autor
Charles Ferdinand Ramuz gleich zu Beginn, wie so eine Auferstehung für die
Bewohner eines Schweizer Bergdorfes abläuft: „Sie haben die Erde mit dem Nacken
nach hinten gestoßen; sie haben mit der Stirn die Erde durchbohrt, wie wenn das
Korn keimt; seine grüne Spitze ins Freie drückt; sie hatten wieder einen
Körper. (…) Und so stiegen sie aus ihren Löchern, und die Sonne fiel auf sie
herab. Sie sahen die Sonne mit ihren wiedergefundenen Augen, sie tranken die
Luft mit wiedergefundenem Mund. Und erst schwankten sie noch ein wenig, waren
unsicher auf den Beinen, dann fanden sie festeren Stand.“
Die Auferstandenen
machen sich sogleich auf in ihr Dorf, wo sie von anderen Auferstandenen freudig
begrüßt werden. Jeder geht in sein Haus und findet alles noch viel schöner vor,
als es einst war; als hätte eine unsichtbare Hand alles neu gemacht. Verblüfft
sind die Dorfbewohner schon, denn viel mehr noch als eine Geburt ist so eine
Auferstehung ein Wunder. „Wie ist das möglich?“, fragen sie sich, erkennen sich
wieder und sehen sich staunend an. „Du! Du! Kann das sein?“ Ramuz beschreibt
diese Auferstehung kurz und knapp. Er versteigt sich nicht in einer feierlichen Epik. Alles ist ganz selbstverständlich, und den letzten Zweiflern wirft er nur
ein trockenes „Aber so war es“ vor die Füße.
C.F. Ramuz wurde
1878 in Lausanne geboren. Er war ein unermüdlich Schreibender, stets bestrebt,
die Welt mit all ihren Facetten in Literatur zu verwandeln, wobei ihm das Leben
der einfachen Leute besonders am Herzen lag. Immer wieder überarbeitete Ramuz seine
Stoffe, sodass von manchen Romanen gleich mehrere Fassungen vorliegen. Von gibt es vier Versionen. Grundlage für den nun erstmals ins Deutsche
übersetzten Text ist die letzte Fassung von 1941. Zu seinen Lebzeiten, Ramuz
starb 1947, wurden 22 seiner Romane veröffentlicht. Mit anderen großen Autoren
teilte er sich bis zu seinem Tod den Titel des immerwährenden
Nobelpreiskandidaten. 2005 erschien eine Gesamtausgabe in der Bibliothéque de
la Pléiade in Paris, deutschsprachige Übersetzungen liegen längst nicht für
alle Bücher von Ramuz vor. Der schweizerische Verlag Limmat hat im Jahr 2023 (im Original , 1922) in einer
Übersetzung von Steven Wyss herausgebracht, nun folgt ebenfalls der von Wyss
brillant ins Deutsche übertragene Roman .
Bei der Lektüre
wird einem klar: Muss man nach der Geburt viel lernen, so muss man nach der
Auferstehung viel vergessen. Der viel zitierte Satz Jean Pauls, dass die
Erinnerung das einzige Paradies sei, aus dem man nicht vertrieben werden könne,
straft Ramuz Lügen. Im irdischen Leben mag der Satz gelten, nicht aber im
paradiesischen. Denn alles, woran sich die Dorfbewohner bei Ramuz erinnern,
durchzieht Schmerz, Unheil und Vergeblichkeit. Das alte Leben – wie hatte man
es überhaupt überstanden? War es womöglich nur eine Täuschung? „Man war wie
jemand, der mit einer Tasse in der Hand zu jedem Brunnen ging, aber die Tasse
hatte keinen Boden. Alles erzählte einem vom Glück: Man fand es nirgends. Im
anderen Leben; im falschen Leben …“
Im Dorf im Himmel
hat Augustin sein Glück gefunden. Auf der Erde hatten die Eltern die Hochzeit
mit Augustine zu verhindern gewusst, aber hier, wo immer die Sonne scheint, wo
man nicht mit Geld, sondern mit Liedern bezahlt, wo der Schreiner keine Särge
mehr macht, sondern Türen und Schränke mit Blumen bemalt, ist ihnen ihre Liebe
sicher, weil sie Bestimmung war. Ramuz, der in einer nüchternen wie bildgewaltigen
Sprache vom paradiesischen Leben nach dem Weltgericht erzählt, verwehrte sich
dagegen, seinen Roman als einen theologischen zu betrachten. Bei der
Buchvorstellung der letzten Fassung von 1941 in Zürich
bezeichnete er ihn als Legende. Darf man dahinter eine kleine Koketterie
vermuten? Dieses Büchlein allein als fromme Sage zu bezeichnen, wäre in etwa
so, als diene Liebe nur der Arterhaltung. Der Reiz der Lektüre liegt gerade in
der Entdeckung der sich permanent aufdrängenden biblischen Motive, während die
Handlung lässig weiter erzählt wird.