Am Ende doch ein Dortmunder

Vielleicht war Mats Hummels der erste Dortmunder Weltbürger. Vielleicht war er aber auch gar kein Dortmunder. Sein erstes Bundesligaspiel absolvierte Hummels im Mai 2007 in der Münchener Allianz Arena. Philipp Lahm und Mehmet Scholl standen neben ihm auf dem Platz, Oliver Kahn saß auf der Bank, mehr FC Bayern geht eigentlich nicht. Schon die Jugendmannschaften hatte Hummels dort durchlaufen, auch in dem Abschiedsvideo, mit dem er auf der Plattform X nun sein Karriereende ankündigte, sieht man ihn zuerst in roten Trikots. Dass er überhaupt nach Dortmund kam, im Januar 2008, lag an einer jener besonders planlosen Phasen, mit denen der FC Bayern ungefähr alle zehn Jahre die Bundesliga erfreut.

Hummels war erst Leih- und dann Stammspieler bei Borussia Dortmund. Der BVB konnte ihn schließlich fest verpflichten, weil man ihn in München für übertrieben verletzungsanfällig hielt. Dann kam Jürgen Klopp und mit ihm zwei Meisterschaften, Dortmund gewann das Double, erreichte das Champions-League-Finale, Hummels verpasste kaum ein Spiel und gehörte meistens zu den besten seiner Mannschaft. Zwangsläufig wurde er also zum Star, auch in Dortmund, wo selbst die letzten Bankdrücker in den frühen Zehnerjahren nicht mehr ungestört bei Vapiano essen konnten. Anders als Mario Götze oder Shinji Kagawa, die prägenden Schönspieler dieser Jahre, betrachtete man Hummels jedoch immer mit einem Rest Skepsis.

Dafür gab es fußballerische und womöglich auch charakterliche Gründe, wenn auch eher irrationale. Hummels verlieh der Position des Innenverteidigers eine Eleganz, die verdienstreichen BVB-Vorgängern wie Bodo Schmidt oder Günter Kutowski gefehlt hatte – das war schon mal verdächtig. Lange Bälle spielte er unfallfrei übers halbe Feld, häufig mit dem Außenrist, sehr lässig also, aber auch ein bisschen angeberisch. Brenzlige Situationen löste er durch Spielintelligenz und gutes Stellungsspiel, weshalb seine (wirklich außergewöhnlich schönen) Haare nach dem Abpfiff nicht immer allzu verschwitzt aussahen. Fehlende Schnelligkeit warf man Hummels schon damals vor. Verglichen mit Abwehrspielern wie Christian Wörns und Robert Kovač, die er beim BVB ablöste, wirbelte er jedoch geradezu rasant über den Platz. 

Dortmund kam gerade aus einer besonders düsteren Fußballphase, die Stadt hatte sich in den Nullerjahren an Spielverhinderer und -verweigerer wie Markus Brzenska, Marc-André Kruska oder den legendären Querpasskünstler Tinga gewöhnt. Auf einen wie Hummels musste man also erst mal klarkommen: Verteidiger, aber mit guter Technik, jung, aber eloquent, humorvoll auf Twitter, aber kein Ranschmeißer im persönlichen Umgang. Hummels kam mit der Influencerin Cathy Fischer zusammen, als noch niemand wusste, was eigentlich eine Influencerin ist. Ganze Blogs beschäftigten sich mit seinem (gar nicht mal so extravaganten) Kleidungsstil. Eine Zeit lang hieß es sogar, Hummels höre gute Musik – ein Gerücht, das sich leider nicht bestätigte.

Nicht zu schlau für Fußball, aber für die Mitspieler

Trotzdem gab es immer Leute in Dortmund, die dachten, dass Mats Hummels dachte, dass er eigentlich zu schlau sei für Fußball – auf der Tribüne, in den Medien oder beim Unsinn war das natürlich, der aber doch irgendwie verfing. Den Lokalpatriotismus von Kevin Großkreutz und Marco Reus konnte Hummels nicht ausstrahlen, die Zweiter-Sieger-Mentalität, die sein Verein in den mittleren Zehnerjahren kultivierte, wollte er sich nicht aneignen. War Dortmund eine Nummer zu klein für ihn? Es schien zumindest niemand sonderlich überrascht, als Hummels im Sommer 2016 seinen ehemaligen Mitspielern Mario Götze und Robert Lewandowski nach München folgte. Dortmunder Tenor damals: War eh klar, dass es mal so kommen würde.

35 Millionen Euro zahlte der FC Bayern für den Spieler, den er einst ausgebildet und weggeschickt hatte, an Borussia Dortmund. Hummels erlebte in München drei bayerntypische Titelsammelsaisons und Oktoberfeste, an die sich heute niemand mehr erinnern kann, dann wurde er wieder weggeschickt, kurioserweise zurück zum BVB, der noch einmal 30,5 Millionen Euro für ihn bezahlte. Was klingt wie die Fußballversion eines Cum-Ex-Deals, veränderte in der Bundesliga rein gar nichts. Bayern wurde weiter Meister, Dortmund wurde weiter Vizemeister. Der eloquente Jungprofi von früher galt nun als sogenannter meinungsstarker Führungsspieler, mit allen Stärken und Schwächen der Spezies.

Hummels hielt sich nicht für zu schlau für Fußball, aber für schlauer als manch andere Fußballer und Trainer. Die Genervtheit, die er in Interviews über fehlende Absicherung im Mittelfeld der Nationalmannschaft oder mangelnden Angriffswillen beim BVB ausstrahlte und in Kabinen wohl auch auslebte, kostete ihn wahrscheinlich die Teilnahme an der letztjährigen Fußball-EM in Deutschland und ein letztes Jahr in Dortmund, das er stattdessen als Urlaubssaison in Italien verbringen musste. Viele deutsche Medien verabschiedeten Hummels als schwierigen Charakter zu AS Rom – als wäre schlechte Laune wegen doofer Chefs und Kollegen nicht schon immer die nachvollziehbarste Sache der Welt gewesen.

Das Ende war trotzdem fast perfekt und damit ein perfekter BVB-Moment. Hummels verteidigte seine Mannschaft im Mai des vergangenen Jahres noch einmal ins Champions-League-Finale, mit Leistungen gegen Paris St. Germain, die nur noch der Pfosten übertraf. Zweimal bekamen Kylian Mbappé, Ousmane Dembélé und ihre Mitspieler den Ball nicht ins Dortmunder Tor, zweimal gewann der BVB mit 1:0, im Rückspiel sogar durch einen Treffer von Hummels. Alles gelang ihm noch einmal, selbst die Fouls an viel zu schnellen Gegnern beging er grasbüschelgenau vor der Strafraumgrenze. Das Endspiel ging dann unglücklich gegen Real Madrid verloren. Mats Hummels wurde also doch noch zum mustergültigen Dortmunder.

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