ZEIT ONLINE: Herr Perron, Sie nehmen keine Aufträge mehr an, wenn Sie einen Kandidaten für politisch am Ende halten. So steht es in Ihrem Buch. Ab wann hätten Sie, in diesem Wahlkampf, Olaf Scholz abgelehnt?
Louis Perron: Seit Beginn des Wahlkampfs. Wenn der Patient tot ist, muss man nicht mehr anfangen, zu operieren. Unpopulären Amtsinhabern kann ein Comeback gelingen. Aber dafür ist Voraussetzung, dass die Wähler einem noch zuhören wollen. Bei Olaf Scholz scheint das nicht mehr so zu sein. Ich denke, die allermeisten Deutschen haben sich ihre Meinung über ihn gemacht.
ZEIT ONLINE: Und eine Anfrage von Robert Habeck?
Perron: Ähnlich. Politiker hören nicht immer gern die Wahrheit, auch wenn sie manchmal nötig wäre. Zuweilen ist es meine Aufgabe als externer Berater, dem Präsidenten zu sagen, was sonst niemand sagen darf. Bei Habecks Leistungsnachweis nach drei Jahren Regierung, die ihn offensichtlich auch angestrengt haben, war das Timing für ihn dieses Mal falsch.
ZEIT ONLINE: Sie empfehlen in Ihrem Buch, dass Fünf-Punkte-Pläne gut funktionierten, wenn es um die großen Themen ginge, zum Beispiel um die Wirtschaft. Am 29. Januar brachte Merz einen Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der Migrationspolitik durch den Bundestag, für den auch die AfD stimmte. Wäre das so Ihr Rat gewesen?
Perron: Die Strategie in einem Wahlkampf so drastisch zu ändern, das würde ich nur unter sehr besonderen Umständen empfehlen. Wahrscheinlich war das aber so ein Fall. Es ist nur schade, wenn eine Partei dann Angst vor ihrem eigenen Mut kriegt. Bei der zweiten Abstimmung haben Merz‘ eigene Leute offensichtlich nicht mehr alle mitgemacht. Es fehlten auch Stimmen der CDU.
ZEIT ONLINE: Sie schreiben auch, dass Polarisierung und Konflikte in einem Wahlkampf nicht schädlich sein müssen, im Gegenteil.
Perron: Grundsätzlich sind Konflikte nicht schlecht, weil sie für mediale Aufmerksamkeit sorgen. Wer immer nur Positionen einnimmt, denen alle zustimmen, findet medial meist nicht statt. Im Fall von Merz‘ Fünf-Punkte-Plan war aber vorher offensichtlich, dass sich die Mehrheit der Deutschen eine Kursänderung gewünscht hat.
ZEIT ONLINE: Na ja, nach der Abstimmung gab es riesige Demonstrationen vor CDU-Büros in vielen Städten und auch Parteiaustritte. Wahlkampfstrategisch gesehen: Hätte der Moment nicht auch der Genickbruch für Merz‘ Kampagne sein können?
Perron: Entscheidend ist, dass Merz‘ persönliche Glaubwürdigkeit durch den Vorgang nicht gelitten hat, im Gegenteil. Auch wenn die Partei dahinter nicht geschlossen war. Ihm als Person nimmt man die Kursänderung in der Migrationspolitik ab. Ob er damit wirklich Erfolg hatte, wird sich erst am Sonntag zeigen. Ich kann mir vorstellen, dass Teile der Wähler die Sache mit der Brandmauer gegen rechts weniger dramatisch sehen als Journalisten und Experten.
ZEIT ONLINE: Ein Wahlkampf gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt sei vor allem ein Referendum über dessen Arbeit, schreiben Sie in Ihrem Buch. Nur war die Regierung Scholz ja schon gescheitert, bevor der Wahlkampf losging. Wie verändert das die Wahlkampfdynamik?
Perron: Diese Wahl ist ein Referendum über Scholz und über die Ampel. Die große Mehrheit der Deutschen ist mit beidem nicht zufrieden. Da muss die Kampagne des Herausforderers gar nicht gut sein, die Umstände reichen schon aus. Die drastische Kursänderung in der Migrationspolitik hätte Merz schon viel früher aufgleisen können. Aber dafür war er wohl zu vorsichtig.
ZEIT ONLINE: Bisweilen wirkt es, als seien die Rollen vertauscht. Merz handelt, als wäre er schon der Amtierende, und Scholz, als wäre er der Herausforderer.
Perron: Genau. Scholz muss die Dynamik des Rennens verändern, sonst verliert er.
ZEIT ONLINE: Was fehlt Merz‘ Wahlkampf?
Perron: Merz‘ Wahlkampfdrehbuch kenne ich nicht, aber er hat lange sehr defensiv gespielt, als ob er im Schlafwagen ans Ziel läge. Vielleicht hatte er noch ganz andere Dinge vor; er wusste ja nicht, dass es frühzeitige Neuwahlen geben wird. Grundsätzlich aber ist Merz zumindest authentisch geblieben, und das ist heutzutage sehr wichtig. Manchmal, wenn Politiker sich in die Hände von PR-Beratern begeben, kommen dabei ganz komische Ränkespiele raus. Aber Merz ist der langweilige, ein bisschen biedere Typ geblieben. Das ist nicht spannend, aber wenigstens echt. Bei den Frauen kommt er allerdings nicht gut an. Und man hätte viele Dinge tun können, um das zu verbessern.