Ist ein Oberbürgermeister verpflichtet, die Rede eines Abgeordneten der AfD zu verfolgen – auch wenn der über den „Sozialtourismus kulturfremder Menschen“ spricht?
Aus der Sicht der AfD-Fraktion im Stadtrat von Hannover hat ein Verwaltungschef nicht das Recht, einen Wortbeitrag durch Abwesenheit zu boykottieren. Deshalb brachte die Partei nun OB Belit Onay (44, Grüne) vor Gericht.
Am Mittwoch verhandelte das Verwaltungsgericht einen Vorfall vom 22. Dezember 2022 und die Frage: Welches Verhalten in einer Ratssitzung ist angemessen – und rechtmäßig?
Als AfD-Fraktionschef Jens Keller während seiner Haushaltsrede von „Sozialtouristen“ sprach, verließ ein Großteil der Ratsmitglieder den Saal. Auch OB Onay und sämtliche Dezernenten gingen raus.
Kellers Anwalt Sören Hauptstein sieht darin eine konzertierte Aktion, ein „politisches Statement“ und eine „Schmähung“ des AfD-Ratsherrn. Dass die „gesamte Führungsriege“ den Saal verließ, sei unzulässig.
OB und Dezernenten mussten angeblich aufs Klo oder telefonieren
Die Chefjuristin der Stadtverwaltung, Annika Theuerkauf, betonte hingegen: „Es gibt keinen Grund für die Verwaltung, dauerhaft anwesend zu sein.“ Der OB und die Dezernenten seien gegangen, weil sie aufs Klo mussten, frische Luft schnappen wollten, um zu telefonieren – oder weil es ihnen im Saal an den Lautsprechern „zu laut“ gewesen sei.
Richter Sven-Marcus Süllow hielt das „Sammelsurium“ an Gründen „für nicht nachvollziehbar“ und fragte: „Warum wird nicht dazu gestanden, dass es mit dem Wort ‚Sozialtouristen’ zusammenhängt?“ Dennoch wies er die AfD-Klage ab. Der Fraktionschef hätte die Möglichkeit gehabt, die Anwesenheit der Verwaltungsspitze in der Sitzung einzufordern.
Onay: „Würdeloses Verhalten muss benannt werden“
Auch eine zweite Klage wies das Verwaltungsgericht zurück: Der Erste Stadtrat Axel von der Ohe (47, SPD) hatte am 28. April eine AfD-Anfrage zu Migration und das „dahinterliegende Menschenbild“ kritisiert. Die Äußerung erfülle allerdings nicht „den Tatbestand des ungebührlichen Verhaltens“, urteilte die Kammer.
OB Onay begrüßte es, „dass auch die Verwaltungsspitze sich rational und sachlich am politischen Diskurs beteiligen darf“. Von der Ohe habe mit seiner Kritik die Position der Verwaltung vertreten: „Denn würdeloses Verhalten gegenüber Geflüchteten muss immer benannt werden und auch für Wahlbeamte benennbar bleiben.“