Aber was wird aus dem Teddy

Der
durchschnittliche Fluggast tendiert ja zur Wehleidigkeit. Die anderen Leute und
die Umstände sind das Problem, die ihm das eigentlich vergnügliche Erlebnis
verleiden, 10.000 Meter über der Erde zu schweben mit der relativen Sicherheit,
in aller Regel nicht hinunterzuplumpsen, ach, herrlich unverständliche Physik.
Man selbst kann nie irgendwas für irgendwas, zumal nicht in der Economy Class. Den
Stauraum in den blockiert bereits das Handgepäck der
Passagiere, die zwei Boardinggruppen früher einsteigen durften, und dann geht
es einfach weiter: zu wenig Beinfreiheit, pappiges Essen (wenn überhaupt noch
welches gereicht wird), das Inflight-Entertainment ist kaputt und der
Sitznachbar eher der raumgreifende Typ, und anders als in jedem Airline-Werbespot
kommt in der Wirklichkeit nie irgendwann eine Flugbegleiterin vorbei, die einem tröstend
die Schulter tätschelt oder wenigstens unaufgefordert ein Extrakissen
aushändigt.

Doch
selbst als leidgeprüfter ohne Lounge-Zugang
bekümmert einen eine Nachricht aus dieser Woche besonders: Die einst
hochgeschätzte Fluggesellschaft Lufthansa wird den Bordverkauf bald auch während
Langstreckenflügen einstellen. Natürlich war es merkwürdig, was in den ungefähr
letzten gedruckten Katalogen so feilgeboten wurde, die es noch auf Erden gibt, aber
künftig nicht mal mehr im Himmel: protzige, dafür meist gar nicht so teure
Herrenuhren, plumper Modeschmuck für Damen, Kosmetika von Marken, die man nicht
dringend exklusiv nennen würde, und dann angeblich auf Reisen nützliche sogenannte
Gadgets wie Nasenhaarschneider, Weltreiseadapter, Kreditkartenhalter,
Gepäckanhänger. Nichts davon schien einem unbedingt nötig, außer vielleicht die
Stange Zigaretten, für deren Duty-Free-Erwerb im Flughafen einem zuvor die Muße
gefehlt hatte. Zu fröhlich pfeifend hatte man die Zeit unterschätzt, die man in
Sicherheitsschlangen verweilen kann.

Scrollt
man nun am irdischen Schreibtisch durch das PDF des aktuellen
Lufthansa-Inflight-Shopping-Katalogs, Ausgabe Winter 2024/2025, fällt einem jedoch
kurz vorm Ende auf Seite 63 ein Produkt auf, bei dessen Anblick man erneut
große Jammerbereitschaft über den Zustand einer Welt verspürt, die man an sich
hat vorbeifliegen lassen: Was, fragt man sich, wird denn nun aus dem
Steiff-Lufthansa-Teddy?

Da
sitzt er auf dem Bild hinter perlweißem Hintergrund im lufthansablauen
Strampler und schaut einen etwas mumpfig an. Er, der nicht sprechen kann, nicht
hören und nur sehr vielleicht durch seine Knopfaugen sehen, scheint zu sagen:
All die Jahre bin ich durch die Lüfte geflogen, ganz umsonst, eingeklemmt im
Rollwagen zwischen 100 ml Terre d’Hermès und der eingeschweißten Michael Kors
Lexington Watch (269 Euro), und nun wollt ihr mir die Freiheit des herrenlosen Stofftiers
nehmen, das es bisher nicht in die Kinderzimmer von Leon oder Marie
geschafft hat, aber darum konnte ich ja der Kapitän meiner
eigenen luftigen Träume sein, der einzige blinde Passagier, den theoretisch jede und
jeder liebt, weil er so knuffig aussieht.

Möchte
die Lufthansa ihren Teddy etwa künftig unten auf der Erde in ihre sogenannten
Worldshops auf Flughäfen einsperren, gegroundet wie einen überalterten ersten
Offizier, trostlos in die Auslage gestellt? Oder verbannt die Airline den
Stoffbären gar in ihren Onlineshop, einsortiert unter der Rubrik „Das könnte
Sie auch interessieren“? Ja, hat denn niemand ein Herz bei
der Lufthansa?

Selbstverständlich
geschieht die Abschaffung des Bordverkaufs im Namen einer
besseren Zukunft: Vor ihrem 100. Geburtstag im kommenden Jahr will die
zweitdeutscheste aller deutschen Marken (entweder hinter Volkswagen oder Mercedes-Benz) ihren Bordservice verbessern, es gibt bald neues Besteck und
neue Decken und neue Kopfkissen und neues Inflight-Entertainment, neues
Geschirr und ganz vielleicht auch neues Essen. „Project FOX“ hat die Airline
diese Runderneuerung ihres Langstreckenservice getauft, „FOX“ wiederum ist ein
Akronym, es soll für „Future Onboard Experience“ stehen. Aufmerksamen Lesern
fällt da gleich auf, dass die Aneinanderreihung der ersten Buchstaben dieser
Marketingsprechwörter aber ja eigentlich „FOE“ heißen müsste, „Experience“
fängt doch nicht mit x an, außer man findet es bei der Lufthansa mittlerweile schicklich,
„Xperiences“ zu haben. Das englische Wort „“ nun bedeutet im Deutschen
Feind, Gegner, Widersacher, und als jemand, der sich an Bord manchmal als einer
der Besatzung fühlt, möchte man ausrufen: Nee, Lufthansa, ihr macht uns keinen Fuchs für
einen Kranich vor, lasst den Bären weiterfliegen, gebt ihm, wenn sein
natürliches Habitat Bordverkauftrolley schon für ein bisschen mehr Stauraum weichen
muss, sofort einen gebührenden Stammplatz in der First.

Uns
andere hinten in der Holzklasse lasst ihr sonst mit dem Eindruck zurück, ihr
sprächet nicht einmal ordentlich Englisch, was wir, ,
schon immer befürchtet haben, und wenn wir dann künftig in die Sitztasche vor
uns greifen, , und dort wird dann kein Inflight-Shopping-Katalog mehr sein,
aber klar, dann haben wir alle wenigstens einen halben Zentimeter mehr
Beinfreiheit, und mehr haben wir uns von der Zukunft eh nie versprochen,
über den Wolken, wo die Unfreiheit wohl grenzenlos ist.

Mehr lesen
by Author
Der wichtigste Wurm der Welt ist gerade einmal einen Millimeter lang und…