Robert Habeck (55) wirkt wie die Braut, die sich nicht traut. Er will für die Grünen ins Kanzleramt einziehen – doch das Wort Kanzlerkandidat kommt ihm nicht über die Lippen.
„Ich bewerbe mich mit dieser Rede dafür, Euch im Wahlkampf anführen zu dürfen“, sagt Habeck am Sonntagmittag vor den etwa 800 Delegierten beim Parteitag in Wiesbaden. Er wolle „Verantwortung übernehmen“ als „Kandidat von Bündnis 90/Die Grünen für die Menschen in Deutschland“.
▶︎ „Und wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt.“ Sein Anspruch sei jedoch, „dienend zu führen“, so Habeck.
Außenministerin Annalena Baerbock (43, Grüne) hingegen hat Klartext gesprochen: „Ich will genau das“, rief sie den Delegierten zu, „Dich als Kanzler!“ Jubel in der Halle, stehender Applaus.
► Egal, ob man Habecks Verhalten als Hybris oder als Schüchternheit wahrnimmt, Fakt ist: Die Konkurrenz findet die Worte, die ihm fehlen. Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) beharrt darauf, Kanzlerkandidat zu sein. Auch Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (69) lässt keinen Zweifel an seinem Führungsanspruch.
Habeck hat noch ein zweites Problem: Im Vorfeld des Parteitags hatte er betont, er wolle keinen Kult um seine Person. Und dann hat er selbst den Grundstein dafür gelegt für die neue „Robby-Mania“ der Grünen.
Den Anfang machte Habeck mit dem sorgsam choreografierten Video, mit dem er seine Bewerbung auf den Weg brachte: Für den Bruchteil einer Sekunde ist Habecks Handgelenk in Nahaufnahme zu sehen. Er trägt ein Freundschafts-Armband wie es auch Millionen Taylor-Swift-Fans tun. Bei ihm steht darauf: „Kanzler Era“, also auf Deutsch „Kanzler-Ära“.
Ebendiese Bänder konnte man auf dem Parteitag selbst basteln, am Stand der Grünen mussten schon am Nachmittag des ersten Tages die Buchstaben „K“ und „E“ nachbeschafft werden. Am zweiten Tag waren sie aus.
Etliche Grüne tragen die bunten Bändchen mit Habecks „Kanzler“-Botschaft spazieren. Die Junge Union verteilte in Wiesbaden „Oppositions-Era“-Bändchen vor der Tür.
► Werden die Grünen nun zum Habeck-Fanclub?
Habeck spricht von sich aus die Vorwürfe an, er wolle die Partei auf sich ausrichten und zu einem „Bündnis Robert Habeck“ formen: „Wenn ihr glaubt, dass ich so wäre, dann wählt mich bitte nicht. Das bin ich nicht.“
Im Podcast „Meine schwerste Entscheidung“ (Funke-Mediengruppe) hatte Habeck Ende Oktober noch erklärt, er wolle, „dass die Partei ohne Personenkult zu einem großen Erfolg geführt wird“.
Doch jetzt ist genau dieser Personenkult in vollem Gange. Und der Spitzenkandidat, der trotz des Umfrage-Tiefs der Grünen Kanzler werden will, ist daran nicht ganz unschuldig.