Am Sonntag will sich die russische Opposition in Berlin zu einer Antikriegsdemo versammeln. Könnte man von dieser Demo irgendetwas erwarten, dann würden jetzt schon Mobilisierungsvideos durchs Netz gehen, in denen Sätze wie diese zu hören wären:
„Waffenlieferungen an die Ukraine sind die einzige Möglichkeit.“ Oder: „Das ist nicht nur Putins Krieg, wir alle tragen dafür die Verantwortung.“ Vielleicht gar: „Unser russisches Volk ist zu einer amorphen Masse vor dem Fernseher geworden. Millionen kleine Menschen, die die Verbitterung über ihr tristes Leben durch imperialistische Großmachtphantasien kompensieren.“
Ein würde- wie folgenloser Novemberspaziergang
So oder ähnlich. Doch vieles spricht dafür, dass der Aufzug, den Julija Nawalnaja, Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa organisiert haben, eher ein würde- wie folgenloser Novemberspaziergang wird. Eine PR-Aktion, deren Zielgruppe nicht die russische Bevölkerung ist, sondern deutsche Medien und Politiker. Ein zugegeben kreativer Antrag einer nutzlosen NGO auf Fördergelder von Bund und EU. Gekämpft wird nicht gegen das russische Regime, sondern um deutsche Aufmerksamkeit. Diese Demonstration ist nur eine der eigenen Schwäche.
Immerhin: Im Gegensatz zur „Friedensdemo“, die Sahra Wagenknecht und andere vor einigen Wochen in Berlin organisierten, wird bei der russischen Variante sogar ein Russe für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verantwortlich gemacht. Allerdings eben nur einer.
Das ist nicht unser Krieg, sagen sie
Der ganze verbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der tägliche Terror gegen Zivilisten, das alles wird von Kara-Mursa, Nawalnaja und Jaschin in den bequemen Begriff „Putins Krieg“ gepackt. Das ist nicht unser Krieg, sagen sie, und auf die Frage nach der kollektiven Verantwortung greift Kara-Mursa wütend den Westen an, der Putin so lange toleriert habe. So schließt sich der Kreis. „Der Westen ist schuld an Russlands Krieg.“ Sagt Putin. Sagt Kara-Mursa.
Ich wünschte, ich könnte auch sagen, dass das nicht mein Krieg ist. Doch ich kann das nicht – weder wenn ich mit meiner Mutter spreche, die gerade wieder eine Nacht russischen Terrors überlebt hat; noch wenn ich die Fotos meiner Freunde mit amputierten Füßen nach dem Fronteinsatz sehe. Auch der Mann aus Lwiw, der seine Frau und drei Töchter durch den russischen Terrorangriff verloren hat, wird nicht sagen können, dass das nicht sein Krieg ist. Ebenso wenig die Eltern der 589 ermordeten ukrainischen Kinder. Sie wurden von Russen ermordet, für die Kara-Mursa, Nawalnaja und Jaschin keine Verantwortung übernehmen wollen, die sie aber im Westen vertreten wollen.
So ist Russland. An die Stelle der kritischen Selbstbefragung tritt im russischen Bewusstsein die permanente imperialistische Selbstbeschäftigung. Die Ukraine und der Krieg, das ist Nebensache im Leben der russischen Antikrieger.