Wenn einem gerade die eigene Polit-Ehe um die Ohren geflogen ist, wären wohl die allermeisten ziemlich verunsichert. Nicht aber Olaf Scholz. Der Kanzler ohne Mehrheit tritt erstaunlich selbstbewusst auf, seit ihm am Mittwochabend die eigene Regierung wegplatzte.
Er sei mit sich im Reinen, sagt der Kanzler. Und tatsächlich wirkte er ziemlich aufgeräumt während seiner Reise zum EU-Gipfel in Budapest. Das Programm am Donnerstagabend (Gala-Dinner) und Freitag (Arbeitssitzung ohne Beschlüsse) zog er routiniert durch. Hier geht es gerade um nichts für ihn. Um sein politisches Überleben muss er in der Heimat kämpfen.
Scholz nimmt für sich in Anspruch, Dinge gründlich zu durchdenken. Auch wenn ihm das mit der Ampel-Regierung gehörig schief ging. Als sich seine Dauerzoff-Koalition am Mittwoch zum letzten Krisen-Gipfel traf, hatte er alle Varianten durchgespielt: Regierung hält, Christian Lindner (45, FDP) wirft hin, er schmeißt seinen Finanzminister raus. Für alle drei Ausgänge hatte sein Team Reden vorbereitet.
Es wurde die letzte Option: Scholz schasste Lindner, sprengt selbst die Ampel. Wie es dann weitergehen soll, hatte er da schon durchgeplant: Die Vertrauensfrage über den Jahreswechsel auf den 15. Januar ziehen, die Bürger sollen erst zum Frühlingsbeginn wählen dürfen.
Der Kanzler weiß: Niemand kann ihm einen früheren Termin für die Vertrauensfrage aufzwingen, keine Union, kein Bundespräsident. Die entsprechenden Paragraphen der Verfassung kann der Jurist Scholz runterbeten.
Die Union tobte. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nennt ihn „Koma-Kanzler“ und „Klebe-Olaf“. Es sei „respektlos gegenüber den Wählern und der Demokratie“, noch zwei Monate bis zur Vertrauensfrage zu warten.
An Scholz perlt das bislang ab. In Budapest aber erkannte er, dass Dickköpfigkeit ihm nicht hilft. Und so zeigte er sich plötzlich gesprächsbereit über die Termine Vertrauensfrage/Bundestagswahl.
Scholz kündigte an: Er will mit den demokratischen Fraktionen eine Verständigung darüber erzielen, welche Gesetze noch vor dem Neuwahltermin im Bundestag beschlossen werden sollen. Davon würde sich dann auch das Datum der Vertrauensfrage ableiten.
Damit schoss Scholz den Ball zurück zur Unionsfraktion. Deren Chef Friedrich Merz (68, CDU) beharrt bislang darauf: Vertrauensfrage nächsten Mittwoch, dann erst Absprachen über mögliche Gesetze.
Scholz forderte gestern in Budapest von allen ein: Über den Wahltermin „unaufgeregt diskutieren“. Damit will er sich als Herr des Verfahrens in Szene setzen
In seiner schlimmsten Polit-Krise versucht er, seine Nervenstärke ausspielen. Und im Machtpoker um den Wahltermin die Union unter Druck zu setzen.
Denn Scholz steht verdammt gerupft da. Nach gerade mal drei Jahren im Kanzleramt scheitert seine Regierung. Will er überhaupt noch irgendeine Chance gegen die in den Umfragen immer weiter enteilende Union (32-34 Prozent) haben, muss er, der mit der SPD bei 16 Prozent dümpelt, in den nächsten Monaten Führungsstärke beweisen.
Zwei Dinge will der Kanzler ohne Mehrheit unbedingt noch im Bundestag durchbringen:
► Als Erstes den fertigen Gesetzentwurf für Steuerentlastungen ab Januar und die Erhöhung des Kindergelds (um 5 Euro). Scholz prüft, ob das schon nächste Woche Sinn macht.
Sein Kalkül: Soll doch mal die FDP gegen ihre eigenen Pläne stimmen. Soll doch mal die Union die Entlastung von Arbeitnehmern und Familien blockieren. Wäre in seinen Augen politischer Wahnsinn.
▶︎ Und er will, da wird es komplizierter, Steuerentlastung und Bürokrieabbau für die Wirtschaft durchsetzen, um so Industriearbeitsplätze zu retten.
Dafür hat er seinen engsten Berater, Staatssekretär Jörg Kukies (56, SPD), zum neuen Finanzminister gemacht. Der ehemalige Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs ist ein Mann der Zahlen. Seine Mission: In den nächsten Wochen entsprechende Gesetzentwürfe vorzulegen.
Scholz‘ Logik dahinter: Vertrauensfrage jetzt ist falsch. Für die beiden Projekte braucht es genügend Sitzungstage. Denn spätestens 21 Tage nach der verlorenen Vertrauensfrage muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflösen.
In der Zeitrechnung von Scholz macht die Vertrauensfrage frühstens Sinn am Ende der letzten Woche vor der Weihnachtspause (20.12.). Damit blieben ihm noch 20 Sitzungstage, um Dinge durchs Parlament zu bringen.
Würde er nächste Woche die Vertrauensfrage stellen, blieben maximal neun Sitzungstage. Zu knapp für echte Beschlüsse, so die Scholz-Denke. Zu knapp für ihn selbst.
Am Freitag gab er seine erneute Kandidatur für den Bundestag bekannt. Die SPD wird ihn zügig auch offiziell zum Kanzlerkandidaten küren.
Wahlkämpfer müssen auch in schier ausweglosen Situationen an sich selbst glauben. In Budapest machte Scholz klar: Er will das Duell mit Merz, er mag Wahlkampf, weil er da zu 100 Prozent er selbst sein kann, ohne Rücksicht auf nervige Koalitionspartner. Und er glaubt tatsächlich an seinen Sieg. Auch wenn das sonst kaum noch einer tut.