„Vor allem bei Mittelständlern wächst die Angst vor Überforderung“

Wirtschaftsprüfer gelten als große Profiteure der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Schließlich eröffnet sich ihnen damit ein neues, lukratives Aufgabengebiet.

Melanie Sack steht seit Anfang des Jahres an der Spitze des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Düsseldorf. Im Gespräch mit WELT zeigt sie Verständnis für die Angst der Unternehmen vor Überlastung und fordert Nachbesserungen.

WELT: Frau Sack, Wirtschaftsprüfer begleiten Unternehmen dabei, die Berichtspflichten aus den europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinien (Corporate Sustainability Reporting Directive – kurz CSRD) umzusetzen. Wie ist der Stand?

Melanie Sack: Die allermeisten Unternehmen akzeptieren es weiterhin, dass bei Nachhaltigkeitsthemen mehr Transparenz geschaffen werden soll. Wir stellen allerdings fest, dass die Stimmung gekippt ist. Selbst wer zunächst enthusiastisch dabei war, ist nun oft ziemlich ernüchtert.

WELT: Woran liegt das?

Sack: Die Vorgaben sind sehr kleinteilig, sehr komplex und damit auch sehr belastend. Im ersten Schritt sind aktuell die großen kapitalmarktorientierten Unternehmen dabei sie umzusetzen. Ab dem kommenden Jahr sollen dann aber auch kleinere Unternehmen in das Regelwerk hineinwachsen. Und in zwei Jahren sollen dann zusätzlich auch noch die sektorspezifischen Berichtspflichten in Kraft treten. Vor allem bei Mittelständlern wächst deshalb die Angst vor Überforderung.

WELT: Zu Recht?

Sack: Ich habe Verständnis für die Bedenken. Viele Regelungen sind ohne längere Übergangsfristen sofort umzusetzen. Die Schwierigkeiten beginnen oft bereits bei der sogenannten Wesentlichkeitsanalyse. Bei dieser ermitteln die Unternehmen, welche Themen für sie besonders relevant sind. Je nach Geschäftsmodell können das dann bis zu 1000 Datenpunkte sein.

WELT: Das ist tatsächlich eine ganze Menge.

Sack: Diese Daten zu erheben kann anspruchsvoll werden. Das liegt auch daran, dass Unternehmen sie anders als bei der Finanzberichterstattung nicht alle intern generieren können, sondern teilweise auch extern einholen müssen. Für sehr stark international aktive Unternehmen wird es zusätzlich kompliziert.

WELT: Wieso?

Sack: Wenn ein Unternehmen zum Beispiel eine Tochtergesellschaft in Brasilien hat, muss es sicherstellen, dass die dort geltenden Sicherheitsbestimmungen jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter in der richtigen Sprache zugänglich gemacht werden. Da geht es um mehr als um eine Analyse des Status quo. Sie brauchen neue Prozesse und Systeme, um diese Informationen erheben und nachhalten zu können. Problematisch ist zum Beispiel auch die hohe Zahl sogenannter Level-3-Regelungen.

WELT: Was ist das?

Sack: Es handelt sich um Regelungen seitens der EU-Kommission und dieser zuarbeitenden Organisationen, die Verordnungen und Richtlinien ergänzen und präzisieren. Die Anzahl dieser Regelungen legt nahe, dass die zugrundeliegenden Verordnungen und Richtlinien nicht hinreichend klar und anwendungssicher sind. Teilweise gehen die Level-3-Hinweise auch über die Anforderungen dieser Vorgaben hinaus oder stehen sogar im Widerspruch zu diesen. Die Inflation dieser Regelungen sollte die EU-Kommission unbedingt stoppen. Im Detail sehr anspruchsvoll sind auch die Informationen zu den sogenannten Scope-3-Emissionen.

WELT: Was verbirgt sich dahinter?

Sack: Das sind Emissionen von Treibhausgasen, die nicht im Unternehmen selbst, sondern in seinen Lieferketten oder bei der Entsorgung seiner Produkte anfallen. Diese zu ermitteln, ist sehr aufwendig. Erleichterungen gibt es aber bisher nur für Unternehmen mit weniger als 750 Beschäftigten im ersten Jahr der für sie verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung

WELT: Wären Sie dafür, die Regelungen grundsätzlich zu entschlacken oder auszusetzen?

Sack: Europäischer und deutscher Gesetzgeber sollten sich fragen, ob sich mit weniger nicht mehr erreichen ließe. Aufwand und Nutzen stehen nicht immer in einem angemessenen Verhältnis. Es wäre sinnvoll, die bereits beschlossenen Vorgaben zu reduzieren. Über die sektorspezifische Regulierung könnte man auch noch einmal grundsätzlich nachdenken. Konkrete Vorschläge haben wir in einem Brief an das Justizministerium sowie in der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags unterbreitet. Als Wirtschaftsprüfer sind wir dazu verpflichtet, die gesetzlichen Vorgaben zu prüfen und können selbst keine Erleichterungen gewähren.

WELT: Können Sie diese Pflicht denn überhaupt erfüllen?

Sack: Wir versuchen die Vorgaben so auszulegen, wie sie vermutlich gemeint sind. Wichtig ist, dass dies einheitlich passiert. Und der deutsche Gesetzgeber sollte die europäischen Vorgaben der CSRD nun zügig in nationales Recht umsetzen. Ansonsten ist unklar, welche Pflichten für große Unternehmen im kommenden Jahr überhaupt gelten. Denn es existiert ja schon jetzt eine umfangreiche nicht finanzielle Berichterstattung.

WELT: Abgesehen von diesen Unsicherheiten ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung für ihre Branche ein grandioses Beschäftigungsprogramm. Wie stark profitieren die Wirtschaftsprüfer konkret?

Sack: Die Wirtschaftsprüfer haben auch ohne CSRD gut zu tun. Aber natürlich eröffnet die Nachhaltigkeitsberichterstattung neue Aufgaben und Karrierewege. Wirtschaftsprüfer erweitern ihre erforderliche Expertise stetig, um auch bei diesen Themen Vertrauen in Daten vermitteln.

Cornelius Welp ist Wirtschaftskorrespondent in Frankfurt. Von dort aus berichtet er über Banken, Versicherungen und Finanzinvestoren und Unternehmen.