Die bekannte Schauspielerin Anouk Grinberg ist anwesend. Aber auch Frauen, die als Statistinnen in der
französischen Filmbranche arbeiten, stehen mit entschlossener Miene vor dem Gebäude des Pariser Strafgerichts. „Es ist uns egal, ob Gérard Depardieu
vor Gericht auftaucht oder nicht“, sagt im Gerichtsgebäude selbst die mehrfach preisgekrönte
Schauspielerin Grinberg, die hier als Unterstützerin auftritt. Sie sagt: Entscheidend sei, dass die Welt endlich wahrnehme,
was Depardieu über viele Jahre lang Frauen am Filmset angetan
habe. „Es gibt Hunderte, viele Hunderte Opfer von ihm.“ Sie seien als Opfer von
Depardieu totgeschwiegen worden, während der Weltstar weiter Karriere
machen konnte. „Diese Zeit ist nun vorbei“, sagt Grinberg.
An diesem Herbsttag in Paris haben sich die Zeiten
tatsächlich geändert: Depardieu bleibt der Gerichtsverhandlung fern, in der ihm wegen
des Vorwurfs sexueller Belästigung der Prozess gemacht werden sollte. Er sei zu krank, um zu erscheinen, haben
seine Anwälte schon am frühen Morgen in Radiointerviews gesagt. Zudem würde der Stress seinen Gesundheitszustand
verschlechtern. Der Star ist abwesend, seine mutmaßlichen Opfer aber und viele Unterstützerinnen wie Grinberg sind da,
sie werden sprechen und geben vor dem Gerichtsgebäude Interviews für Hunderte erschienene Journalistinnen. Das war nicht immer so: Viele Jahre beachteten französische Medien
die zahlreichen Gerüchte und Erzählungen nicht, die über Depardieus angebliche
Übergriffe kursierten, berichtet wurde darüber quasi nicht. Aber mit dieser Gerichtsverhandlung hat sich auch das
geändert.
Sie beginnt mit der Verlesung der Anklageschrift: Während
der Dreharbeiten zum Film vor drei Jahren soll Depardieu zwei Frauen
sexuell belästigt haben. Dem heute 75-Jährigen wird vorgeworfen, im September
2021 eine Bühnenbildnerin erniedrigt zu haben:
Er habe sie zwischen seinen Beinen eingeklemmt und habe
durch den Stoff ihrer Kleidung hindurch ihr Geschlecht und ihre Brüste
„gequetscht und geknetet“. Die Frau habe sich erst mithilfe von zwei weiteren
anwesenden Personen befreien können. Das zweite mutmaßliche Opfer, eine
Regieassistentin, bezichtigt Depardieu ähnlicher Übergriffe im August 2021. Er soll
sie am Set des Filmes, einer 120 Quadratmeter großen
Wohnung in Paris, belästigt haben. Sollte Depardieu vom Gericht für schuldig befunden werden, droht ihm laut der Pariser Staatsanwaltschaft eine Strafe, die bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug und zusätzlich 75.000 Euro Geldstrafe betragen könnte.
Es ist der erste Strafprozess gegen den Weltstar, aber die
nunmehr öffentlich gewordenen Vorwürfe gegen ihn sind längst zahlreich: Mindestens 20 Frauen haben
Depardieu in verschiedenen französischen Medien sexueller Übergriffe
bezichtigt. Er soll sie beleidigt, erniedrigt, angeschrien und
sich permanent obszön über ihre Geschlechtsteile geäußert haben. Die
meisten Vorwürfe sind nach französischem Recht
verjährt – nach drei Jahren können etwa sexuelle Belästigungen nicht mehr zur
Anklage gebracht werden. Auch zu dem Vorwurf einer spanischen Schauspielerin, sie sei von
Depardieu im Jahr 1995 vergewaltigt worden, gab es keine Ermittlungen mehr.
Depardieu wurde in Frankreich in den Siebzigerjahren etwa mit Filmen wie (1974) bekannt, in den Achtzigerjahren stieg er endgültig zum französischen Superstar auf, in den Neunzigerjahren erhielt er für seine Rolle
als Cyrano de Bergerac gar eine Oscarnominierung. Später verkörperte er in zahlreichen -Filmen eine der zentralen Figuren der französischen Kultur: Obelix. Gérard Depardieu war ein nationales Heiligtum. Daneben galt er als das, was man früher Partylöwe nannte; als Weinliebhaber und
Gourmet mit Restaurantbesitz; und als einer, der es aus einem Kaff in Zentralfrankreich bis nach Hollywood geschafft hatte. In den vergangenen Jahren machte er eher als Steuerflüchtling von sich reden, kurzzeitig lebte er in Russland und galt als Putin-Verehrer, bis er nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs seine Meinung änderte. Seine Karriere beendete all das dennoch nicht.
Das könnten nun die bislang zwei angesetzten Gerichtsverhandlungen ändern. Der für den heutigen Montag geplante Beginn dieses ersten Prozesses wird schließlich auf den 24. März 2025
verschoben, bis dahin soll sich Depardieu einer gerichtsmedizinischen
Untersuchung unterziehen. Allerdings gab dieser erste Gerichtstag – trotz
Depardieus Abwesenheit – schon eine Ahnung davon, wie der Weltstar
womöglich gedenkt, sich verteidigen zu lassen. Sein Anwalt Jérémie Assous zündet mit gellender
Stimme verschiedene „Nebelkerzen“, wie der Staatsanwalt ihm später
vorwerfen wird. Assous ist in Frankreich bekannt für seine aggressiven
Plädoyers und wird auch an diesem Tag mehrfach vom Richter zurechtgewiesen, etwa weil er auf Fragen des Gerichts ausweichend antwortet.
Am frühen Morgen hat Assous in der meistgehörten
Radiosendung des Landes gesagt, Depardieus Mediziner hätten ihm verboten,
vor Gericht zu erscheinen. Eine irreführende Behauptung, schließlich
können seine Hausärzte nur Empfehlungen geben, aber keine Verbote
aussprechen; nur das Gericht selbst könnte eine (womöglich vorübergehende) Verhandlungsunfähigkeit eines Angeklagten durch Anhören medizinischer Sachverständiger feststellen. Die Anwältin Carine Durrieu, die eines der mutmaßlichen Opfer vertritt, entgegnet
zudem vor Gericht, Depardieus Erkrankungen seien lange bekannt, sein Diabetes etwa seit 25 Jahren. Sie wundere sich daher über die plötzliche
Schwäche des Angeklagten. „Was die Angst von Depardieu vor diesem Prozess
angeht“, fährt die Anwältin fort, „kann ich nur sagen: Meine
Mandantin empfindet seit Jahren großen Stress und große Angst. Aber
sie hat es in diesen Gerichtssaal geschafft.“
Tatsächlich sitzen beide mutmaßlichen Opfer in der ersten Reihe im Gerichtssaal: eine 35-jährige
Frau mit schwarzem Pagenkopf, die bei jedem aggressiven Satz von
Depardieus Anwalt zusammenzuckt. Und eine 53-jährige Bühnenausstatterin
in schneeweißer Bluse, die den Ausführungen Assous‘ kopfschüttelnd
folgt und von Durrieu anwaltlich vertreten wird.