Sie brauchen den Feind

In einer Comedyserie wäre die
folgende Geschichte ein eher mittelmäßiger Gag: Die Nachrichtenagentur AP
enthüllte
kürzlich, dass Tausende der Bibeln, die Donald Trump seit diesem Jahr verkaufen
lässt und auf denen „God bless the USA“ steht, in der Volksrepublik China gedruckt
wurden. In dem Land also, das der Ex-Präsident seit Jahren bei jeder
Gelegenheit zum größten Feind der USA erklärt. Den Herstellungskosten von drei
Dollar pro Stück steht ein stattlicher Verkaufspreis von mindestens 59,99
Dollar entgegen, wie AP berichtete.

„Der Typ hat sogar Gott nach
China ausgelagert“, rief Tim Walz, Vizepräsidentschaftskandidat von Kamala
Harris, bei einer Veranstaltung in Michigan ins Publikum. Ex-Präsident Barack
Obama, der kurz vor der Wahl noch mal intensiv Werbung für die Demokraten macht,
hat das Thema bereits bei mehreren Auftritten aufgegriffen. Trump markiere
einen „harten Kerl in Sachen China“, empört sich Obama, „außer, wenn er ein
paar Dollar verdienen kann“.

Eine Obsession

Das Interessanteste an dieser Geschichte
ist jedoch weder Trumps Heuchelei, denn die reiht sich in eine lange Liste von
Heucheleien ein, noch die Kritik der Demokraten, denn die ist im Wahlkampf
absehbar, und die Öffentlichkeit sowieso skandalübersättigt. Bemerkenswert ist vielmehr
das politische Klima, das sich an diesem Vorfall zeigt.

In den USA hat sich in den
vergangenen Jahren eine überparteiliche und zunehmend obsessive Anti-China-Haltung
durchgesetzt. Hätte Trump seine patriotischen Bibeln in, sagen wir, Belgien
drucken lassen: okay, etwas daneben. Aber China, ausgerechnet China? Nur hier verlangt das gesamte US-Establishment eine harte Haltung.

Der Anti-China-Konsens ist vor
allem eine Folge der offensichtlichen wirtschaftlichen und geopolitischen
Konkurrenz der beiden Länder. Die USA und China sind mit Abstand die
größten Industrienationen der Welt. Sie kämpfen darum, wer was produziert, und
wer wo das Sagen hat. Doch so nationalistisch-düster und paranoid-schrill, wie
in den USA die Rivalität mit China mitunter inszeniert wird, lässt sich darin noch
etwas anderes, tieferes erkennen: eine besondere Eigenart der US-amerikanischen
Psyche.

Rivale, Sündenbock, Projektionsfläche

Das politische Establishment
der USA scheint nach Jahrzehnten der globalen Konkurrenzlosigkeit, die nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion herrschte, geradezu gekränkt, nicht mehr
alleiniger Hegemon zu sein. Die multipolare Welt: ein Affront. China ist für
die USA heute tatsächlich in vieler Hinsicht das, was die Sowjetunion mal war: ideologischer Rivale, Sündenbock, Projektionsfläche; der Gegenspieler, der die
eigene Politik strukturiert.

Wie einig sich Demokraten und Republikaner
in ihrer grundsätzlichen Position gegenüber China sind, wurde auch bei der
TV-Debatte zwischen Harris und Trump
im September deutlich. Trump rühmte sich
dafür, der chinesischen Wirtschaft „Milliarden von Dollar“ durch Zölle
abgenommen zu haben, und behauptete, dass China Angst vor ihm habe. Harris
wiederum warf Trump vor, amerikanische Computerchips an China verkauft und
damit das eigene Land „verraten“ zu haben. Die China-Politik der Vereinigten Staaten dürfe nur einem Ziel folgen, erklärte Harris, nämlich „den Wettbewerb
um das 21. Jahrhundert zu gewinnen“. Bei keinem anderen Thema sind sich beide
Seiten auch rhetorisch so nah, bei beiden wirkt der angestaubte Pathos alles
andere als souverän.

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