Der Trinkgeld-Trick der Gastronomie

Trotz gestiegener Preise: Für die meisten Deutschen ist es selbstverständlich, ein Trinkgeld zu geben. 78 Prozent der Gäste in Restaurants zahlen den Service-Zuschuss hierzulande üblicherweise, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2023 zeigt.

In den USA, wo das Extra für den Kellner oder die Kellnerin wegen niedrigerer Mindestlöhne noch eine weitaus wichtigere Rolle spielt, sind es 77 Prozent. „Trinkgeld ist eine Anerkennung für guten Service“, sagt Mark Baumeister, Referatsleiter Gastgewerbe bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). „Es handelt sich um einen steuerfreien Zuverdienst.“

Die Inflation der vergangenen Jahre hat der Gewerkschaft zufolge jedoch zu einer abnehmenden Bereitschaft geführt, höhere Trinkgelder zu geben. Laut einer Untersuchung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften spielen hierbei zudem „vor allem psychologische und soziale Motivationen“ eine Rolle. So gebe, wer bar zahle, in der Regel mehr Trinkgeld. Kartenzahlung wird in den Lokalen allerdings immer beliebter.

Die Antwort der Branche sind psychologische Tricks, in der Fachsprache Nudges genannt. Zum Beispiel über spezielle Kartenterminals: Vor dem Bezahlen muss sich der Kunde für ein Trinkgeld von zehn, 15 oder 20 Prozent entscheiden – oder dazu, gar keines zu geben. „Nudges wie diese Voreinstellungen auf den Terminals wirken“, sagt Dominik Enste, Professor für Verhaltensökonomik am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Einer Studie des Kreditkartenanbieters Mastercard zufolge finden fast 60 Prozent der befragten Konsumenten die Vorschläge „praktisch“. Dabei würden statistisch gesehen die meisten Kunden eigentlich weniger Trinkgeld geben, als ihnen bei Kartenzahlung vorgeschlagen wird: Die Mastercard-Analysen zeigten, dass es „bei Beträgen unter 50 Euro durchschnittlich zehn Prozent“ sind.

Bei höheren Summen liege der Wert eher bei acht Prozent. Ökonom Enste sagt, unter den Vorschlägen auf dem Kartenterminal wählten Gäste „meist die mittlere Option“.

Der Trend zu den Trinkgeld-Voreinstellungen beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Restaurants. Auch in Cafés oder sogar im Einzelhandel ohne nennenswerten Service werden Kunden mittlerweile um das Extra gebeten – vor allem in den USA.

Dort hat sich dafür bereits der Begriff „Tipflation“ etabliert: ein Kunstwort aus den englischen Wörtern für „Trinkgeld“ („tip“) und „Inflation“. Die Idee funktioniert offenbar auch in Deutschland.

Die Bereitschaft, etwas für den Service dazulassen, hat bisher nicht darunter gelitten, dass Kunden immer öfter um den Zuschuss gebeten werden. Laut Angaben des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga hat sich das Trinkgeld-Verhalten der Deutschen „nicht verändert“.

Nach Zahlen des Bezahlservice-Anbieters Orderbird sind die Beträge sogar größer geworden. „Obwohl die Trinkgeldvergabe 2019 und 2023 einigen Schwankungen unterlag, zeigt sich deutlich, dass Restaurantbesucher über die Jahre mehr Trinkgeld geben“, heißt es vom Anbieter. Lag der Durchschnitt unter 5600 Restaurants 2019 noch bei 3,10 Euro, waren es 2023 schon 6,12 Euro.

Ob es bei diesem Anstieg bleiben wird? Ein Blick in die USA lässt daran zumindest zweifeln. Dort nimmt die Zahl der Kunden, die bei einfachen Dienstleistungen wie einem Cafébesuch ganz auf das Trinkgeld verzichten, bereits zu.

Restaurants hingegen waren laut einer Pew-Research-Untersuchung aus dem Jahr 2023 besser dran: Hier änderte sich am Trinkgeld-Verhalten kaum etwas. In manchen Ländern wie Italien können Kunden ohnehin kaum um eine Extrazahlung herumkommen. Hier wird oft von vornherein eine Service-Pauschale berechnet.

Felix Seifert ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Innovation. Er schreibt unter anderem über die Themen Karriere, Mittelstand und Immobilien.